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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Drehleitern zu sehen. Das Areal war großräumig abgesperrt. Beim Näherkommen spähte Lara nach Jo und versuchte gleichzeitig, sich alle Eindrücke für ihren späteren Bericht so genau wie möglich einzuprägen.
    Der Fotograf stand auf der anderen Straßenseite und bewegte, den Kopf zum Display geneigt, die Kamera langsam hin und her, um jeden Zentimeter des brennenden Eckhauses abzulichten.
    »Jo!« Lara war außer Atem.
    »Da bist du ja.« Er schaute nicht hoch. »Das Schlimmste haben wir schon hinter uns.«
    Dicker, schwarzer Rauch quoll aus den Fenstern und wallte nach oben. Feuerwehrleute standen auf Drehleitern und zielten durch die geborstenen Fensterscheiben. Grauer Qualm verwandelte sich allmählich in weißen Rauch. Lara öffnete ihr Notizbuch und begann, eilig Stichpunkte auf das Papier zu werfen, während Jo Satzfetzen heraussprudelte.
    »Ich war auf dem Weg zum Supermarkt … da habe ich das Sirenengeheul … Bin gleich hinterhergefahren … man weiß ja nie … und …« Die Fotografen waren nicht fest angestellt und immer darauf bedacht, sich selbst um Aufträge zu kümmern. »Dann komm ich hier an …« Jo sprach und knipste gleichzeitig. Zwei Worte – Klick. En Satz – Klick. Komisch, dass Digitalkameras auch »Klick« machten. Vielleicht wünschten sich das die Kunden so.
    »Das Treppenhaus hat wohl als Erstes gebrannt. Dann standen mindestens zwanzig Leute an den Fenstern … Frauen, Kinder.« Jo sprach immer in Halbsätzen.
    Frauen und Kinder. Lara schluckte und wagte es nicht,
nach mehr Informationen zu fragen, weil sie sich vor den Fakten fürchtete, aber Jo sprach einfach weiter, und sie schrieb und schrieb, nur um sich die Bilder nicht vorstellen zu müssen.
    »Das hat vielleicht gedauert, bis die die Sprungtücher ausgebreitet hatten. Mann, Mann. Inzwischen hat eine Mutter …« – jetzt sah er kurz hoch, nur um den Kopf sofort wieder auf das Display zu richten – »… ihr Baby runtergeworfen.«
    »Was …« Weiter kam Lara nicht.
    »En Polizist hat es aufgefangen. Ich sage dir!« Jo wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn. »Kannste dir nachher in der Redaktion alles ansehen. Ich hab’s drauf.« Brandgeruch wehte herüber, und Lara hatte das Gefühl, es röche nach verkohltem Fleisch.
    »Es sind auch Erwachsene runtergesprungen. Manche haben sich verletzt.« Lara sah verkrümmte Gestalten auf dem leeren Pflaster liegen und unterdrückte die Tränen.
    »Die Krankenwagen sind schon weg.« Er deutete in Richtung Süden. »Könnte sein, dass es Tote gibt.«
    »Tote.« Lara kam sich vor wie ein Papagei.
    »Hab ich läuten hören, aber nichts Genaues weiß man nicht.«
    »Jo, ich geh mal rüber und sehe, ob ich aus den Leuten was rausquetschen kann. Wir treffen uns nachher in der Redaktion, und du erzählst mir die Details, o. k.?«
    »Klar. Ich bin dann sowieso gleich weg. Für mich ist das Ding gelaufen. Mach deine Interviews.« Er zwinkerte mit einem Auge und zog gleichzeitig den Mundwinkel hoch.
    Das Notizbuch unter den Arm geklemmt, marschierte Lara los und sah sich dabei um. Die Vorstellung des herabfallenden Babys ging ihr nicht aus dem Kopf. Aus den Fenstern gegenüber spähten Neugierige. Auch an den Straßenrändern weiter
oben und unten hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Direkt an der Absperrung sah sie ein bekanntes Gesicht.
    »Brandmeister Gansmann?« Sie kannte den Mann von früheren Einsätzen. Herr Gansmann war ein umgänglicher Mensch. Vielleicht hatte sie bei ihm Glück. Der Uniformierte, der die Löscharbeiten konzentriert beobachtete, drehte sich um.
    »Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«
    »Frau Birkenfeld! Sie sind aber auch überall, was?«
    »Das ist meine Arbeit. Die Leser wollen informiert sein. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?« Lara hatte das Diktiergerät schon in der Hand und drückte auf den Aufnahmeknopf.
    »Versuchen Sie es. Ich muss meine Leute beaufsichtigen.« Brandmeister Gansmann hatte sich wieder dem Geschehen auf den Drehleitern zugewandt, und Lara stellte sich neben ihn und begann damit, ihren Fragenkatalog abzuspulen.
    »Wir wissen noch nicht, ob es Brandstiftung war. Das müssen die Brandursachenermittler der Kripo herausfinden.«
    »Wann kann man mit Ergebnissen rechnen?«
    »Zuerst muss der Brand komplett gelöscht sein. Dann wahrscheinlich nicht vor übermorgen, je nachdem, wie es da drinnen aussieht. Das Gebäude ist einsturzgefährdet. Die Kripo muss vorsichtig rangehen.«
    Lara nickte.

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