Ungeheuer
Jetzt würde sie Herrn Gansmann noch einmal nach möglichen Opfern fragen und sich dann den herumstehenden Gaffern zuwenden.
»Was haben Sie denn hier zu suchen?« Die unwirsche Frage wurde von einem unsanften Stoß gegen ihren Oberarm begleitet. Lara schaute seitlich hinter sich und blickte direkt in die unheilbringend glühenden Uhuaugen von Kriminalkommissar Stiller.
Das Gleiche könnte ich dich fragen, du ungehobelter Kerl. Was hatte der Kriminalkommissar an diesem Brandherd zu suchen? Normalerweise erschienen bei einem solchen Ereignis nur die sofort alarmierten Schutzpolizisten und die Brandermittler. Es sei denn, man vermutete von vornherein Schlimmeres. Maestro Stiller würde ihr jedoch darüber bestimmt keine Auskunft geben. Brandmeister Gansmann ging ein paar Schritte nach links, so als wolle er sich von der Auseinandersetzung fernhalten.
»Ich recherchiere.«
»Sie recherchieren, aha.« Es klang verächtlich.
»Genau. Und ich behindere schließlich niemanden. Die Leser haben ein Recht auf Information.« Während Lara sich noch fragte, wieso sie sich eigentlich vor dem Typen rechtfertigte, hatte dieser sie schon am Arm gepackt und versuchte, sie von der Absperrung wegzuzerren.
»Lassen Sie mich los!«
»Gehen Sie zurück zu Ihrem Wurstblatt! Sie stören!«
»Ich bestimme selbst, wohin ich gehe.« Lara machte sich los und rieb sich demonstrativ den Oberarm. Hinter ihr starrten die Gaffer. Sie ärgerte sich, dass sie das Diktiergerät ausgeschaltet hatte, als der Blechmann aufgetaucht war. Vielleicht hätte man seine Rohheit als tätlichen Angriff auf eine Journalistin werten können.
»Gute Frau, Sie verschwinden hier, und zwar sofort, sonst mache ich Ihnen Beine.« Der Kommissar stieß zischend die angehaltene Luft aus.
»Sie sind mir gegenüber nicht weisungsberechtigt!« Laras Antwort erreichte nur den stocksteifen Rücken. KK Stiller war bereits auf dem Weg zu seinen Kollegen. Wenn er der Ansicht war, sie ins Bockshorn gejagt zu haben, dann hatte er sich aber gründlich getäuscht.
Sie würde jetzt die Umstehenden befragen, und es würde ihr eine Genugtuung sein, wenn der da drüben vor Zorn platzte.
11
»Meine Güte, das war vielleicht eine öde Vorlesung!« Robert prustete Luft aus und verdrehte die Augen. »Der wird auch nie fertig mit seinem Gelaber.«
»Nützt ja nichts.« Ann-Kathrin schlenkerte ihre Stofftasche beim Gehen auf und ab. Ihre blonden Haare, die in der Sonne einen rötlichen Schimmer hatten, wippten im Takt. »Ich habe gehört, der Prof merkt sich die, die in seiner Vorlesung pennen, und schikaniert sie dann in der Prüfung. Das möchte ich lieber vermeiden. Und nächste Woche beginnen die Semesterferien, dann haben wir es geschafft, nicht, Lisa?« Sie hängte sich bei ihrer Freundin ein. Das Mädchen neben ihr trug das Schneewittchenhaar zu einem lockeren Dutt zusammengezwirbelt. »Dann fahren wir ans Meer und entspannen.«
»Ich kann es kaum noch erwarten.« Robert gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.
»Mir sind auch bald die Augen zugefallen. Habt ihr gemerkt, der Typ hinter mir hat sogar geschnarcht!« Paul grinste, fischte eine zerknitterte Schachtel Zigaretten aus der Tasche und klappte sie auf. »Rauchen wir erst mal eine.«
Gemeinsam nahmen die vier nebeneinander auf der steinernen Rabatteneinfassung Platz, reckten ihre Gesichter in die Sonne und stießen dabei synchron Rauchwölkchen aus.
Robert war als Erster fertig und zertrat seine Kippe auf den Gehwegplatten. »Kommt ihr mit in die Mensa?«
»Ich hab eigentlich gar keinen Hunger.« Lisa zog ihren Bauch ein und erhob sich ebenfalls.
»Komm doch wenigstens mit. Du kannst ja einen Salat essen!« Ann-Kathrin zog ihre Freundin am Arm mit sich mit.
»Ich muss abnehmen. Sonst passt mir der Bikini nicht.«
»Ich finde dich genau richtig!« Paul tätschelte Lisas Hintern. »Schön rund. Und nun los. Ich habe auch Hunger.« Nebeneinander marschierten die Freunde in Richtung Mensa.
Die Schlange rückte im Schritttempo vorwärts. Paul und Robert hatten sich bei den Hauptspeisen angestellt, und Lisa war schon bei den Getränken. Ann-Kathrin strich sich die Haare aus dem Gesicht und las sich zum dritten Mal die Liste der Gerichte durch.
Hinter ihr stand ein Mann im dunkelgrauen Nadelstreifenanzug. Seine Kleidung passte nicht zu der der Studenten. Wahrscheinlich war er ein Honorardozent. Unmerklicher Duft nach Zitronengras, vermischt mit etwas Kardamom, umhüllte ihn und bildete mit dem
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