Ungeheuer
hinterlassen, und musste sich nun ohne all diese Schutzmaßnahmen
noch einmal an den Tatort zurückbegeben. Aber es war nun einmal geschehen, das Klagen nützte also nichts.
Wie gut, dass er wenigstens so klug gewesen war, letzte Nacht seinen Standort im Navigationsgerät zu speichern. Und trotzdem hatte er im zarten Licht des Morgens eine Weile suchen müssen. In Wäldern funktionierte die Standortbestimmung nicht so genau.
Das aufgeregte Summen der Fliegen hatte ihm schließlich den Weg gewiesen. Ständig in alle Richtungen lauschend, hatte er sich vorsichtig näher gepirscht.
Tiere hatten die Decke aus Blättern und Zweigen beiseitegescharrt, um sich an dem zarten Fleisch gütlich zu tun. Der auseinanderklaffende Unterleib war von einem schwarzschillernden Gewimmel bedeckt. Es sah aus, als atme dieser Teil des Körpers noch.
Noch ein bisschen dichter heran. Das, was von Susann Weiß übrig geblieben war, roch schon nach Kadaver. Doctor Nex mochte kein verwesendes Fleisch. Er hatte die Luft angehalten und fieberhaft Äste und mit Nadeln vermischtes Laub auf das Insektengetümmel geworfen. Bösartig brummend waren die Schmeißfliegen nach oben gesummt. Sie würden wiederkommen. Ihr Raunen überdeckte sein banges Keuchen.
Danach hatte er die Szenen der Jagd noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen lassen. Die Folie musste herabgerutscht sein, als er das Nachtsichtgerät nach hinten geschoben hatte. Einen Meter neben dem Kadaver war ihm schließlich das faltige Gebilde direkt ins Auge gesprungen. Er hatte es eingepackt, schnell noch einmal die Lichtung abgeschritten und sich davongemacht. Erst im Auto war ihm aufgefallen, dass seine Kleidung bis auf die Unterwäsche durchgeschwitzt war. Doctor Nex’ empfindliche Nase hatte den Schweißgeruch bis nach Hause aushalten müssen.
Nun, es war ja schließlich alles noch einmal gutgegangen. Er streifte den schmalen Ring ab und ging, um den Kamin anzuzünden. Es war zwar Juli, ein lauer Sommerabend, aber um der Abendkühle zu begegnen, konnte man durchaus ein kleines Feuerchen vertragen. Es war an der Zeit, ein paar Dinge dem Feuer zu übereignen. Danach würde er sich seinem Kunstwerk widmen.
Und am morgigen Mittwoch – da stand ein kleiner Besuch auf dem Universitätscampus auf dem Plan.
13
Lara ging zu ihrem Auto und rieb sich dabei die Stirn. Ihr Blutzucker sei zu niedrig, hatte Doktor Radost gesagt. Eine Langzeitmessung würde Aufklärung bringen, ob das bei ihr öfter auftrat. Das könne eine Ursache der Kopfschmerzen sein.
Die Luft im Innern des Wagens roch sommerwarm. Sie schloss die Tür, ließ den Motor an und blieb ein paar Sekunden so sitzen. Im Rückspiegel blickte sie eine mürrische Lara an. Ob sie eine Brille brauche, hatte der Arzt sie gefragt. Manchmal wurden solche Beschwerden wie die ihren auch durch langes, angestrengtes Sehen verursacht. Lara dachte sich ein Horngestell um ihre Augen. En Uhu materialisierte sich, und sie sah KK Stiller vor sich.
Sie verscheuchte das Bild und fuhr los. Mittwochs waren keine Gerichtsverhandlungen. Bis zum Beginn ihrer Spätschicht war noch viel Zeit. Sie würde in die Innenstadt fahren, sich in ein Straßencafé setzen, etwas gegen ihre Unterzuckerung tun und ein bisschen herumtelefonieren. Vielleicht
war Kriminalobermeister Schädlich heute zu sprechen. Der Brand war zwei Tage her, das erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Ermittler inzwischen Näheres zur Ursache wussten.
Laras Emotionen und ihr Verstand kämpften den ganzen Weg bis zum Parkhaus stumm miteinander. Ihr Gefühl wünschte, dass sie Mark anrief, die Vernunft war dagegen. Es gab keinen konkreten Anlass für ein Gespräch, sie wollte ihn nicht nerven, und trotzdem nagte die ganze Zeit das Verlangen, einfach nur seine Stimme zu hören.
»Birkenfeld. Ja genau. Wie Birke und Feld. Von der Tagespresse .« Lara sah sich um und verdrehte die Augen. »Kriminalobermeister Schädlich, bitte. Ich hatte gestern schon einmal angerufen. Ja, ich warte.« Die Kellnerin stellte den Teller mit dem Obstkuchen ab und huschte davon.
»Stiller.«
Reflexartig nahm Lara das Handy vom Ohr, schaute kurz auf die Anzeige, während ein zweites »Stiller!«, gefolgt von einem ärgerlichen »Hallo!«, aus dem Hörer schallte. Heftig drückte sie den Daumen auf den »Beenden«-Knopf und legte das Telefon auf den Tisch. Zwei Sekunden später klingelte es. In ihrem Kopf stritten sich zwei Stimmen, ob sie abnehmen oder sich lieber tot stellen sollte. Lara, sei
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