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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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hätte einen Friseurbesuch auch mal wieder dringend nötig. Aber Jochen saß, seit er arbeitslos geworden war, lieber daheim herum und ließ sich gehen.
    Der Mann mit den ordentlichen Haaren verlangte Gehacktes und Roastbeef. Er warf den Beutel, den ihm die Verkäuferin reichte, achtlos in den Wagen und ging davon, ohne sich umzudrehen.
     
    Seichtes Gedudel untermalte die Geräusche im Supermarkt. Der Duft frischer Brötchen lockte vom Backshop herüber. An den Kühltruhen spielten zwei Kinder Fangen. Beate Zimmer murmelte die Wörter auf ihrem Einkaufszettel vor sich hin und machte in Gedanken kleine Häkchen dahinter. Sie hatte alles beisammen.
    Von den zehn Kassen waren nur vier oder fünf besetzt. Sie bewegte den Wagen unschlüssig hin und her und entschied sich schließlich für Kasse Nummer sieben. Vielleicht ging es hier schneller als bei den anderen. Sieben war ihre Glückszahl.
    Der Mann im grauen Anzug stand direkt vor ihr. Noch einmal bewunderte Beate Zimmer seinen exakten Stoppelschnitt. Während er seinen Einkaufswagen davonschob,
nahm sie sich vor, noch heute Abend mit Jochen wegen seiner Haare zu sprechen.
     
    Auf dem Parkplatz war nur noch wenig Betrieb. Beate Zimmer ging langsam zu ihrem Auto. Vor einer Stunde war es hier noch viel lebhafter zugegangen, und sie hatte weit weg vom Eingang parken müssen. Ihr Corsa stand direkt neben dem Häuschen, in dem die Einkaufswagen abgestellt wurden. Daneben parkte ein silbergrauer Ford Mondeo. Hinter dem Steuer saß der Mann mit den kurzen Haaren und telefonierte. Der Rest der Parkplätze im hinteren Bereich des großen Platzes war verwaist.
    Beates Blick glitt über den auf dem Rücksitz des Fords befestigten Kindersitz, und sie lächelte. Dann begann sie, ihre Einkäufe im Kofferraum zu verstauen. Beate Zimmer hatte nur noch eine Stunde zu leben. Aber das wusste sie nicht.
    Zuerst knisterte es, dann erlosch die Glühbirne mit einem Knacken, und es war stockfinster. Der Mann erstarrte. Dann streckte er die Arme in die Dunkelheit und versuchte sich zu erinnern, wo er gerade gestanden hatte, als die Lampe ihren Geist aufgegeben hatte. En kleiner Junge begann zu wimmern. Es dauerte eine Weile, bis der Mann begriff, dass das Wimmern in seinem Kopf war.
    Er riss die Augen auf und versuchte, die Schwärze zu durchdringen, aber da war nichts.
    Das Kind jammerte stärker, und der Mann konnte die Stimme einer Frau hören, die ihm befahl, still zu sein. Und zwar sofort, sonst würde er schon sehen, was er davon habe. Er zog die Lippen nach innen, bis es schmerzte, und presste sie aufeinander; biss danach die Zähne so fest zusammen, dass sie
wehtaten, und versuchte, jedes Geräusch zu unterbinden. Die Frauenstimme keifte unterdessen weiter, sie schrie, verfluchte das unselige Balg, das sie geboren hatte, und schlug mit den Fäusten gegen das Holz.
    Sein Zittern nahm zu, bis der ganze Körper vor Angst schlackerte, die Betonwände verstärkten das keuchende Atmen. Wenn er nur ein kleines bisschen sehen könnte, nur einen Lichtstrahl, ein winziges Quäntchen Sonne, nur so viel, um sich vergewissern zu können, dass ihm keine Gefahr drohte.
    Dunkelheit war unheilbringend, Ungeheuer lauerten überall, sie fletschten ihre Zähne, tasteten nach dem Kind, warteten auf eine falsche Bewegung. Er spürte, wie ihm heiße Tränen über die Wangen rannen.
    Etwas entglitt seinen feuchten Fingern und fiel nach unten. Das Klimpern des Schlüssels auf dem Beton riss ihn aus seiner Erstarrung. Er war nicht im Bestrafungszimmer eingesperrt. Und er war auch kein kleiner Junge mehr. Er war ein erwachsener Mann, der in seiner Garage stand, und eben war die Glühbirne durchgebrannt. Weiter nichts. Und die alte Hexe, die ihn seit seiner Geburt gequält hatte, war jetzt selbst in einem lichtlosen Kasten eingesperrt und moderte vor sich hin.
    Der Mann löste den Krampf der Kaumuskeln und bewegte die Zunge. Er schmeckte Blut. Dann ging er vorsichtig in die Knie, tastete nach dem Autoschlüssel und drückte das kleine Knöpfchen, das die Zentralverriegelung öffnete. Gleichzeitig mit dem Klicken der Türschlösser flammte die Innenbeleuchtung des Fords auf. Besonders hell war es nicht, aber der trübe Schein reichte, um sicher zum Auto zu gelangen und die Fahrertür zu öffnen, damit die Innenbeleuchtung anblieb. Schnell begann er, in den Regalen nach einer Ersatzglühbirne
zu suchen. Es gab so viel zu tun. Heute war die Nacht von Dienstag auf Mittwoch, das bedeutete, er musste morgen wieder

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