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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Alles hatte sich wie von selbst gefügt. Bereits bei der Abgabe des zweiten Päckchens am Freitag hatte er das Gebäude gründlich inspiziert, so als habe sein Unterbewusstsein schon damals gewusst, dass er die Informationen später noch einmal
brauchen würde. Zwar sahen die Dinge im Dunkeln immer ein wenig anders aus, aber die Grundrisse blieben die gleichen.
    Er hätte Lara mitnehmen können, sie kannte wahrscheinlich jeden Winkel des Hauses, aber das wäre viel zu gefährlich gewesen. Womöglich hätte sie Möglichkeiten gefunden, auf sich und ihre Lage aufmerksam zu machen, ohne dass es ihm aufgefallen wäre, und morgen stünden dann die Schergen vor seiner Tür.
    Nein, Doctor Nex benötigte zwar Laras Fachwissen, nicht jedoch ihre körperliche Anwesenheit.
    Es hatte ein bisschen gedauert, aber nach mehrmaligen, nachdrücklichen Aufforderungen seinerseits war sie schließlich mit allen Informationen herausgerückt. Er hatte versucht, ihr dabei keine äußerlich sichtbaren Verletzungen zuzufügen. Wer weiß, wozu die Kleine noch nützlich sein würde. Und ihre Haut war so zart und weich, dass sie nicht durch blaue Flecken oder verschorfte Wunden entstellt werden sollte.
    Lara hatte ihm genauestens erklärt, welche Schlüssel für welche Türen passten, wie man sich mit ihrem Passwort in den Computer einloggte, wie das Layoutprogramm funktionierte und wie die Artikel schließlich eingegeben wurden.
     
    Lautlos drehte sich der Schlüssel im Schloss. Doctor Nex ging vorsichtig zu Laras Schreibtisch. Vor seinem inneren Auge sah er sie im hellen Sonnenlicht hier sitzen und mit angewidertem Blick den Penner in der Eingangstür betrachten. Ihr Haar hatte kupferfarben geleuchtet.
    Jetzt wurde der Raum lediglich durch den gelborangen Schein der Straßenlampen schwach erhellt. Er betrachtete von der Tür aus die Lage des Computers und der Fenster und
entschied, dass der Lichtschein des Bildschirms von draußen nicht zu sehen sein würde, wenn er ihn etwas drehte.
     
    Leise surrend erwachte die Maschine zum Leben. Sein Herz schlug schneller, als die Aufforderung zur Eingabe eines Passwortes erschien. Wenige Sekunden später begrüßte ihn der Rechner mit »Lara Birkenfeld«, und Doctor Nex atmete tief durch und entspannte die Rückenmuskeln. Jetzt musste er nur noch den Text von seinem Speicherstick auf Laras Computer laden, eine passende Rubrik und einen ähnlich umfangreichen Artikel aussuchen, diesen löschen und stattdessen seine Botschaft eingeben und anpassen. Das waren höchstens zehn Minuten Arbeit.
    Schnell klapperten die Tasten. Draußen hupte ein vorbeifahrendes Auto. Kopieren. Einfügen. Der Text war zwei Zeilen zu kurz. Er fügte zwei Absätze ein und betrachtete sein Werk. Es sah perfekt aus.
    Die Kollegen würden es gar nicht merken, dass nicht ihre Kollegin Lara Birkenfeld den Artikel geschrieben hatte. Was sprach dagegen, dass sie spät abends, nach dem Erhalt der Botschaft, noch einmal in die Redaktion gegangen war, um ihn einzugeben?
    Jetzt musste er die Seite noch einmal abschicken. Normalerweise, so hatte Lara ihm den Ablauf erklärt, gab der Spätdienst in der Redaktion die Seite frei, bevor er nach Hause ging. Logischerweise war also die eben bearbeitete Seite schon einmal vom Verantwortlichen freigegeben worden. Landete eine Änderung jedoch bis zweiundzwanzig Uhr bei den Technikern, wurde sie noch für die nächste Ausgabe berücksichtigt.
    Und heute Abend hatte Lara Birkenfeld noch etwas geändert und sendete es nun erneut. Hastig huschten die
Finger über die Tastatur, dann lehnte sich der dunkel gekleidete Mann aufatmend zurück und faltete die Hände über der Brust. Jetzt hieß es warten. Warten, bis morgen früh die Zeitung erschien. Dann würden alle Leser wissen, dass es sich bei ihm nicht um einen hirnlosen Serienmörder, sondern um einen wahren Künstler handelte.

28
    Er fühlte sich ausgezeichnet. Der Kaffee war so heiß, dass er sich fast die Zunge verbrüht hätte. Vorsichtig nippte der Mann an seiner Tasse und schaute dabei nach draußen. Der Junge, der die Zeitung austrug, kam immer zwischen fünf und sechs am Morgen. Feiner Nieselregen nässte die Gehwegplatten und ließ den Asphalt glänzen. Feuchte Luft wehte zum offenen Küchenfenster herein. Er hörte das feine Quietschen des Fahrrads schon, bevor es in Sicht kam. Das Bürschchen bremste, klappte den Deckel der großen Tasche hoch und schob die zusammengerollte Zeitung in die dafür vorgesehene Röhre am Tor. Das Ganze dauerte

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