Ungeheuer
höchstens fünf Sekunden, dann strampelte er weiter zum nächsten Eingang.
Doctor Nex nahm noch einen kleinen Schluck und erhob sich dann langsam. Seitlich am Hals konnte er eine Ader pulsieren spüren. Im Flurspiegel sah er, dass sich auf seinen Wangen zwei rote Flecken gebildet hatten.
Wie ein sanftes Tuch legte sich der Regen auf sein Gesicht. Die Enden der Zeitung waren schon ein bisschen feucht, und das Papier begann bereits, sich zu wellen. Das wertvolle Stück unter den Arm geklemmt, eilte er hinein. Die Ader pochte stärker.
Ganz langsam blätterte er um. Genüsslich glitt der Blick über die fetten Überschriften. Noch eine Seite weiter hinten. Er zwang sich, die Texte zu überfliegen, obwohl seine nervösen Finger schon den Rand der Zeitung gepackt hielten und umblättern wollten. Noch ein paar Sekunden wollte er die Vorfreude genießen, die Vorstellung, dass überall in der Stadt jetzt Menschen den Artikel lasen, in dem sie über die Kunstwerke des »D. G. Eine« informiert wurden und sich so ein Bild von seinem Anliegen machen konnten. Sein Herz galoppierte voran. Blättere endlich um!, schrie die Stimme in seinem Kopf, mach schon, los! Er leckte noch einmal den Zeigefinger an. Auf der Straße röchelte ein Anlasser und übertönte das feine Rascheln des Papiers.
Doctor Nex starrte auf die Seite. Seine Augen waren geweitet. Stoßweise entwich Atemluft. Dann presste er die Zähne aufeinander und schnaubte durch die Nase, vergewisserte sich noch einmal. Und noch einmal.
Spanische Hacker nach 45 000 Internet-Attacken festgenommen
Die spanische Polizei hat fünf Hacker festgenommen, die in den vergangenen Jahren insgesamt 45 000 Seiten im World Wide Web geknackt haben sollen …
Nex ließ die Faust auf den Tisch krachen. An der Stelle seiner Erklärung prangte der beschissene Artikel über irgendwelche Internetflegel, den er gestern Abend eigenhändig gelöscht hatte. Zur Sicherheit durchforstete er noch einmal die gesamte Zeitung von vorn bis hinten, aber es blieb dabei. Die Konzeption des »D. G. Eine« stand nicht in der Tagespresse . Seine ganze Vorfreude war umsonst gewesen, die Aufregung,
die Anstrengungen, die Gefahr, in die er sich und sein Projekt gebracht hatte – vergebens!
Auf dem Weg in den Keller dachte er darüber nach, ob Lara ihn bewusst angelogen hatte. Konnte es sein, dass sein kleiner goldlockiger Engel ihm die Unwahrheit gesagt, ihn über die Abläufe in der Redaktion getäuscht hatte? Oder handelte es sich lediglich um einen Irrtum, einen Fehler der Techniker? Hastig drehte er den Schlüssel im Schloss.
Wir werden es herausfinden, jetzt gleich. Die nichtsnutzige Schlampe würde ihm Auskunft geben müssen, ob sie wollte oder nicht. Und dieses Mal würde er sich nicht von ihrem Flehen und Jammern aus dem Konzept bringen lassen. Sollte sie ein paar Blessuren davontragen – auch nicht so schlimm! Alles war besser, als von so einer kleinen Nutte verarscht zu werden!
Das Kellerlicht flammte auf. Doctor Nex betrachtete den zur Seite gesunkenen Kopf. Ihr Mund stand ein wenig offen. Es sah nicht besonders attraktiv aus. Aber darauf kam es jetzt auch nicht an.
»Wach auf!« Zeitgleich mit den Worten schlug er ihr kräftig auf die Wange. Laras Augenlider flatterten, blieben aber geschlossen. »Augen auf, hab ich gesagt!« Noch ein Schlag, fester jetzt. In Zeitlupe hob sich erst das eine und dann das andere Lid. Mit verstörtem Blick sah sich die junge Frau um.
»Ich habe ein paar Fragen an dich.« Er zog sich einen Hocker heran und setzte sich dicht vor die Frau im Rollstuhl. »Du kannst es leicht oder schwer haben, das hängt ganz von dir ab.« Sie schaute noch immer verwirrt. Dann öffnete sie den Mund und krächzte ein »Durst« heraus.
»Was zu trinken? Das kannst du haben!« Doctor Nex angelte nach der Wasserflasche, öffnete sie und hielt sie direkt
vor Laras Gesicht. »Wenn du kooperierst, Baby.« Dann zog er die Flasche wieder zurück und genoss die Genugtuung über die Enttäuschung im Gesicht der jungen Frau.
»Erinnerst du dich an gestern?« Sie nickte schwach. »Du hast mir erklärt, wie ich den Artikel über meine Kunst in deinen Computer eingeben muss, damit er heute in der Zeitung steht.« Erneutes Nicken. »Fein. Und genau nach deinen Erläuterungen bin ich dann auch vorgegangen.« Jetzt steigerte er seine Lautstärke abrupt. »Leider habe ich heute nichts davon in eurem Wurstblatt gefunden! Nicht eine EINZIGE Zeile!« Lara Birkenfeld zwinkerte krampfhaft.
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