Ungeplant (German Edition)
Lina.
Dein Sven
PS: Lass Dich von einer Horde Sechsjähriger nicht verunsichern. Du würdest eine wunderbare Mutter abgeben, daran habe ich keinen Zweifel.
6.
Es ist zu früh, viel zu früh. Noch vier Wochen bis zum errechneten Geburtstermin, aber Kim kann die Schwangerschaft nicht mehr halten. Sie hat bedrohlich hohen Blutdruck und steht kurz vor einer Schwangerschaftsvergiftung. Max wird heute geholt, es geht kein Weg daran vorbei.
Die Hebamme hat mich in einen Raum geschoben und mir ein Bündel mit OP-Bekleidung in die Hand gedrückt, damit ich mich umziehe. Mir ist speiübel und ich hoffe inständig, dass ich das durchstehe.
Im OP werde ich neben Kims Kopf platziert, gegenüber vom Anästhesisten, der mich aufmunternd anlächelt. Kim sieht mich panisch an. Sie kann aber nichts sagen, da sie schon eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht hat. Ich streichle ihre Wange, denn ihre Hände sind fixiert. Das hat sie sich sicherlich nicht so vorgestellt. Die Situation hat etwas von einem Vieh auf der Schlachtbank.
Die Ärzte sind mit den Vorbereitungen fertig und instruieren mich wiederholt, nicht über den Sichtschutz zu sehen. Nicht, dass ich das vorgehabt hätte.
„Gleich siehst du deinen Sohn“, flüstere ich meiner Schwester zu, während die Ärzte an ihr rumzerren. Sie reißt panisch die Augen auf und versucht, ihre Hände freizumachen. Ihre Stirn ist von Schweiß benetzt und sie keucht unter der Maske. Die Hebamme reicht mir ein Tuch, um sie abzutupfen, doch sie wehrt sich gegen die Berührung.
„Was ist los, Kim? Hast du Schmerzen?“
Sie schüttelt mit dem Kopf und der Anästhesist nimmt ihr die Maske vom Mund, damit sie etwas sagen kann.
„Keine Luft“, keucht sie. Sie wehrt sich weiter gegen die Fixierung an ihren Händen, als die Überwachungsmonitore bedrohlich anfangen zu piepen. Ehe ich mich versehe, hat mich eine OP-Schwester am Arm gepackt und hochgezogen.
„Sie müssen den OP jetzt verlassen“, sagt sie mit einer Autorität, die mich den Kopf einziehen lässt. Sekunden später schließt sich die Schiebetür zum OP vor meiner Nase.
Ich ziehe mir den Mundschutz vom Gesicht und versuche, nicht zu hyperventilieren. Eigentlich müsste ich meine Eltern anrufen, aber ich will sie nicht unnötig beunruhigen. Erschöpft rutsche ich an der Wand im Flur runter und schlage die Hände vor mein Gesicht.
Eine Hand tippt mir vorsichtig auf die Schulter. Die Hebamme steht vor, mit dem Mundschutz unter ihr Kinn geklemmt.
„Es ist alles okay, Frau Baur. Ihrer Schwester geht es gut und Max ist gerade beim Kinderarzt. Er hat sofort geweint, was ein gutes Zeichen ist. Kim hatte nur eine Panikattacke. Darum mussten wir sie dann doch noch narkotisieren, damit das Baby keinen Stress bekommt. Aber es ist alles in Ordnung, machen sie sich keine Sorgen.“
Erleichtert lasse ich mit einem Seufzer alle Luft aus meinen Lungenflügeln. „Kann ich ihn sehen?“, frage ich hoffnungsvoll.
„Eigentlich müssen wir warten, bis der Kinderarzt fertig ist, aber kommen sie kurz mit. Ich sehe, was ich tun kann.“
Verschwörerisch zwinkert sie mir zu und führt mich in einen Nebenraum.
Von: Melina Baur
An: Sven Gutknecht
Betreff: Er ist wunderschön!!!
Hey Sonnenschein,
im Anhang das erste Foto von meinem Neffen Max. Die Geburt war ein Chaos, aber das erzähle ich Dir ein anderes Mal.
Ich fürchte, er hat mein Herz geklaut. Er ist noch so klein und muss auch noch ein paar Tage zur Beobachtung bleiben, aber er ist fit. Und er ist gesund. Du weißt, wie viele Sorgen ich mir diesbezüglich gemacht habe.
Ich durfte ihn sogar das erste Mal baden, während Kim ihre Narkose ausgeschlafen hat.
Wusstest Du, dass Neugeborene schon so eine ausgeprägte Mimik haben? Auch wenn sie es noch nicht kontrolliert machen.
Ich könnte ihm den ganzen Tag beim Schlafen zusehen. Kim hat mich auch schon aus dem Krankenhaus geworfen, weil sie sonst ihr eigenes Kind kaum in die Finger bekommt.
Ich hoffe wirklich, dass sie klarkommt. Natürlich werde ich ihr helfen, das steht außer Frage, aber letztendlich muss sie ihr Leben alleine regeln.
Du fehlst mir, Sven. Können wir bei Gelegenheit noch mal einen Videochat machen? Ein Foto würde mich auch schon ziemlich glücklich machen. Schreibst Du noch für mich?
Wenn ich an Dich denke (nein, jetzt kommen keine schmutzigen Worte mehr),
Weitere Kostenlose Bücher