Ungeschoren
zurück. Auf der anderen Seite des eigensinnigen Lederrückens saß Mateusz Kohutek inzwischen mit ein paar Kartenbüchern vor sich, zeigte und versuchte, zwei geografische Lagen zu beschreiben. Zeit verging. In dem kleinen Raum herrschte Schweigen. Bis ein Handy klingelte. Hjelm sauste aus dem Zimmer und zurück in Norlanders und Söderstedts Raum.
»Du Schlitzohr«, sagte Grundström.
Hjelm atmete tief durch. Ein Rest von Gefühl war noch vorhanden. Ein Rest von Polizeigefühl.
»Urlaub, der Sicherheitsfirma zufolge«, fuhr Grundström fort. »Aber Comviq hat ziemlich schnell festgestellt, dass Eriksson gestern mehrfach das polnische Mobilfunknetz der Polkomtel in Anspruch genommen hat. Es heißt, dass man in großen Teilen der Landschaft Wielkopolskie, Großpolen, in der auch Poznán liegt, automatisch über dieses Netz verbunden wird.«
»Großartig«, sagte Hjelm. »Ein Fleischknochen.«
»Was?«, fragte Grundström.
Und wurde weggeschaltet. Denn in diesem Augenblick traf Arto Söderstedt in Gesellschaft einer verwüsteten Frau ein, die einen Arm in der Schlinge trug. Verblüfft starrte er Paul Hjelm an.
»Wir waren verabredet«, sagte Hjelm hilfreich.
»Ja, natürlich. Ich musste mich um etwas anderes kümmern«, sagte Söderstedt. »Ich will nur ein paar Worte mit Marja-Liisa Niemelä hier wechseln.«
»Soll ich euch allein lassen?«
»Nein, du kannst hierbleiben. Wir werden später eine formelle Vernehmung durchführen. Setzen Sie sich, Marja-Liisa.«
Marja-Liisa Niemelä und Paul Hjelm setzten sich beide Arto Söderstedt gegenüber, der sagte: »In Ihrem Keller, auf dem Regal direkt neben der Werkbank, habe ich also eine Stichsäge gefunden, an der offenbar Blutflecken waren und wahrscheinlich auch Hirnsubstanz klebte. Die Spurensicherung ist jetzt da und untersucht, ob Ihr Keller auch der Tatort eines Mordes ist. Am Tag zuvor ist Ihr Mann Juha-Pekka Niemelä ermordet aufgefunden worden, mit einem Stück seines eigenen Schädels im Mund. Das Stück war mit einer Stichsäge herausgesägt worden. Ich möchte, dass Sie in der Untersuchungshaft über diese Fragen nachdenken, Marja-Liisa. Es ist jetzt schon so spät, dass Sie die ganze Nacht darüber nachdenken können.«
Marja-Liisa Niemelä betrachtete ihn, ohne dass sich in ihrem verwüsteten Gesicht eine Regung zeigte.
»Verhören finnisch?«, fragte sie in gebrochenem Schwedisch.
»Natürlich können wir das Verhör auf Finnisch durchführen«, sagte Söderstedt und stand auf. Er ging zur Tür, öffnete sie und nickte in den Korridor. Zwei massive uniformierte Polizisten kamen herein und nahmen Marja-Liisa Niemelä mit.
Söderstedt betrachtete Hjelm. Schließlich sagte er: »Sie lebt seit vierzehn Jahren hier und kann kaum ein Wort Schwedisch. Das nenne ich Isolierung. Vierzehn Jahre in einem Haus in den Wäldern um Tungelsta, täglich misshandelt von ihrem Mann. Die Stichsäge kommt mir vollkommen logisch vor.«
»Ihr habt verdammt viele Fälle zurzeit«, sagte Hjelm.
»Neidisch?«
»Tja. Aber wie bekannt habe ich einen eigenen.«
»Wie bekannt.«
»Natürlich ist das hier absolut vertraulich«, sagte Paul Hjelm. »Es stimmt, dass ich Sundsvall unter die Lupe genommen habe in der Zeit, als Jorge da war. Aber es geht um einen ganz anderen Polizisten, und ich glaube, dass er euch interessiert. Er heißt Bengt Eriksson und war später Kollege von Jon Anderson in Uppsala. Da hat er Jon auf das Schlimmste schikaniert, warum, weiß ich nicht. Es war auf jeden Fall so gemein, dass er entlassen wurde. Ich glaube, dass die Rache dafür letzte Nacht kam. Ich glaube, dass er derjenige ist, der Jon Anderson in Poznán niedergestochen hat. Ich habe gestern Nachmittag mit ihm telefoniert, über Handy. Da hielt er sich in der Gegend von Poznán auf.«
Arto Söderstedt starrte ihn an. »Nicht zu fassen«, sagte er.
»Ich nehme an, ihr wollt den Fall übernehmen?«, sagte Hjelm.
»Ist es denn nicht der Fall der Internabteilung?«, fragte Söderstedt.
»Ich überlasse ihn euch liebend gern«, sagte Hjelm und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und fügte hinzu: »Ich schicke euch das Material herüber, das ich über Bengt Eriksson habe.«
Als er in den Korridor hinaustrat, dachte er über das englische Wort ›slick‹ nach. Er ging zu dem alten Archivraum, angelte ein in Papierhandtücher gewickeltes Päckchen hinter ein paar Aktenordnern hervor und fragte sich, wie viele alte Freunde er an diesem Tag belogen hatte. Die Zahl schien sich drastisch zu
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