Ungeschoren
sagte er schließlich. »Aber jetzt scheint es so, als ob unsere Fälle zusammenhingen, und ich kann mir keinen Reim darauf machen. Erzähl du erst ein bisschen mehr von euren Fällen.«
Und sie erzählte. Das Wasser kochte. Sie nahm den Topf, erzählte weiter, füllte die Tassen, erzählte weiter, schaufelte viel zu viel Nescafé hinein, erzählte weiter, goss Milch hinein, dass es überschwappte, erzählte weiter, rührte um. Als Kerstin Holm einem erschütterten Paul Hjelm die Tasse mit dem Horrorcocktail vorsetzte, war sie fertig.
Er sagte: »Man sollte es nicht für möglich halten. Ich erinnere mich an den Fotografen.«
»Wirklich?«
»Nicht daran, wie er aussah. Nur dass er da war.«
»Wie alle anderen.«
»Es ist ja die perfekte Maskierung«, sagte Hjelm. »Alle erinnern sich an die Kamera, keiner an den Fotografen. Ein vollkommen unsichtbares Wesen.«
»Drei Faxmitteilungen über unschuldig Verurteilte wurden also allem Anschein nach von demselben Mann aus dem Teleladen hier unten verschickt.«
»Und derselbe Mann schickte anscheinend im gleichen Zusammenhang ein Fax an Niklas Grundström. Es beinhaltete die Namen von acht Zeugen dafür, dass Jorge Chavez sich während seiner Zeit in Sundsvall schwerer Drogendelikte schuldig gemacht haben soll.«
Kerstin Holm starrte ihn an. Und er erzählte. Er rührte in dem furchtbaren Gesöff, erzählte, versuchte, die Nescaféklumpen aufzulösen, erzählte, versuchte heldenhaft zu trinken, ohne eine Grimasse zu schneiden, erzählte, spürte, wie seine Herzklappen auf ungute Art geschmiert wurden, erzählte, stellte die Tasse wieder auf den Küchentisch. Da war er fertig.
Sie sagte: »Jorge? Das ist vollkommen wahnsinnig. Drogentest?«
»Und ich habe mich gefügt«, sagte Hjelm beschämt. »Ich habe einen gemacht. Gestern. Heimlich.«
»Ich glaub’s nicht«, sagte Kerstin Holm.
»Ich weiß. Niemand darf etwas davon erfahren. Und niemand hat etwas davon erfahren. Das musst du mir versprechen, Kerstin. Ich breche schon jetzt alle erdenklichen Vorschriften.«
»Okay. Und was hat der Test ergeben?«
»Spuren von Cannabis. Marihuana oder Haschisch.«
»Jorge? Du machst Witze.«
»Keineswegs. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass er nicht im Dienst ist.«
»Er ist im Vaterschaftsurlaub, ist das etwa besser?«, sagte Kerstin entrüstet.
»Aus der Sicht des Jugendamts: nein. Aus unserer Sicht: ja. Sehr viel besser. Kein Dienstvergehen.«
»Und Bengt Eriksson?«
»Er stand auf der Faxliste«, sagte Hjelm. »Als ich ihn anrief, um mit ihm über Jorge zu sprechen, zeigte sich, dass er in Poznán war, um Jon Anderson umzubringen. Es war reiner Zufall. Genau wie die Verknüpfung mit Anderson.«
»Das heißt, wenn der Fotograf und der Mörder und dein Denunziant ein und dieselbe Person sind, dann konnte Eriksson dank des Mörders identifiziert werden. Ist das Ironie des Schicksals?«
»Nach allem, was du erzählt hast, würde er wohl nichts dagegen haben, wenn Eriksson verschwände … Er gehört auf gewisse Weise zu den Opfern. Es wäre natürlich noch viel gelungener gewesen, wenn Anderson ihn niedergestochen hätte und nicht umgekehrt.«
»Und sonst? Haben die Untersuchungen zu etwas geführt?«
»Es ist zwiespältig«, sagte Hjelm und schüttelte den Kopf. »Der Jazzclub Majls in Sundsvall war eindeutig keine Drogenzentrale, wie behauptet wurde. Jorge war eher daran beteiligt, einem Drogenabhängigen, der dort gearbeitet und nebenher ein bisschen Haschisch verkauft hat, wieder auf die Beine zu helfen. Anderseits sagen einige der Zeugen, dass er dann und wann einen Joint geraucht hat. Es ergibt kein eindeutiges Bild. Der Letzte, mit dem ich gesprochen habe, war ein Vollidiot, der außerdem Kommissar in unserer Interpolabteilung ist. Rickard Blomdahl. Er scheint zusammen mit Bengt Eriksson tonangebend im rassistischeren Flügel der Polizei in Sundsvall gewesen zu sein. Sie haben mehrere Jahre lang konsequent gegen Jorge gearbeitet, mit Einverständnis ihres Chefs. Blomdahl sagte: ›Einwanderer können leider nie gute Polizisten werden. Bei denen fehlt was in der Rübe.‹ Versuch, das zu toppen, wenn du kannst.«
»Das kann ich nicht. Aber wie hängt es zusammen? Warum zeigt er Jorge an? Was hat das mit unseren Morden zu tun? Mit Puck?«
»Puck?«, sagte Hjelm. »Eishockeypuck?«
»Ich dachte, du wärst literarisch gebildet. Die Buchstaben in den Kniekehlen der Leichen. Posthume Tätowierungen.«
»Puck? Ein Sommernachtstraum? Der flüchtige Geist der
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