Ungeschoren
Nacht.«
»Du bist ja doch literarisch gebildet. Arto hat das jetzt übernommen.«
Ohne zu überlegen, was er tat, nahm Hjelm einen großen Schluck von dem abscheulichen Kaffee. Er bekam einen Hustenanfall und hyperventilierte.
»Ist er zu stark?«, fragte Kerstin nur.
»Die Verbindung«, krächzte Hjelm. »Irgendwelche Ideen?«
»Er fotografiert die A-Gruppe mitsamt dem umfangreichen Familienanhang. Und er zeigt Jorge an. Das ist das Verbindungsglied. Er hat es irgendwie auf uns abgesehen. Die A-Gruppe ist das Ziel. Die alte A-Gruppe. Dich eingeschlossen.«
»Oder das Mittel zum Zweck«, sagte Hjelm und schob die Tasse von sich. »Eher wohl das Mittel? Die Botschaft steht im Zentrum. Was auch immer die Botschaft sein mag.«
»Dass wir in wahnwitzigen Zeiten leben«, sagte Holm.
»Und etwas dagegen unternehmen müssen. Ernsthaft. Unsere Menschlichkeit zurückerobern. Wieder lernen zuzuhören.«
Sie schwiegen eine Weile. Hjelm kannte die Argumentation. Es war seine eigene. Er schauderte und vollführte eine kleine Geste.
»Euer Mörder und mein Denunziant könnten ja zufällig hintereinander in der Faxschlange gestanden haben. Es kann ein Zufall sein.«
»Nein«, sagte Kerstin Holm und sah ihm in die Augen.
»Nein«, sagte er und erwiderte ihren Blick.
»Du fehlst mir«, sagte sie.
»Und du fehlst mir«, sagte er.
Ein mildes Sommerlicht erfüllte die unordentliche Wohnung. Kerstin blickte auf ihre Hand. Darin hielt sie eine Socke. Eine Männersocke. Deswegen war beim Kaffeemachen alles schiefgegangen.
»Wie kriegen wir ihn?«, sagte sie und ließ die Socke unauffällig auf den Boden fallen.
Hjelm schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er.
»Im Augenblick ist ein weißes Hemd unten im Teleladen unsere beste Chance. Und das sagt ja einiges darüber, wie die Dinge stehen.«
»Warum hat er deine acht Zeugen ausgesucht?«, fragte sie.
»Ja, du … Drei Polizisten, zwei Musiker, eine Sozialarbeiterin, einen Clubvorsitzenden, eine unbekannte Frau. Zwei von ihnen habe ich nicht zu fassen bekommen. Den Boss vom Majls und die Frau, Eva-Liza Besch.«
»Besch? Eine Deutsche? Aber eine Frau kann der Mörder wohl kaum sein.«
»Kaum anzunehmen.«
Wieder war es eine Weile still. Als wäre die Luft in der unaufgeräumten Wohnung von etwas ganz anderem erfüllt als dem leicht aufwirbelnden Staub.
Paul Hjelm sagte: »Ich habe das Gefühl, dass er irgendwo in der Nähe ist.«
32
Gunnar Nyberg zwinkerte und betrachtete eine Liste. Auf der Liste stand: KPCU, KCUP, PCUK, CKUP, CPUK, UKPC, UCPK, KPUC, KUPC, PKUC, PUKC, CKPU, CUKP, UKCP, UCKP, KCPU, KUCP, PCKU, PUCK, CPKU, CUPK, UPKC, UPCK, PKCU.
Puuh, dachte er und sah auf den Bildschirm des Computers.
KPCU konnte ›The Kenya Planters Co-operative Union‹ heißen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass der Mörder auf einen kenianischen Bauernverband verwies?
KCUP war von einem richtigen Wort nicht ganz so weit entfernt. Der K-Cup. Zum Beispiel Knickerbocker Cup, veranstaltet von The Knickerbocker Yacht Club in den USA.
PCUK war unter anderem ein britisches IT-Unternehmen. PC in UK.
CKUP war ein Erste-Hilfe-Kit, hergestellt von Custom Kits Company in Oxford, Massachusetts.
Da reichte es ihm.
Er fuhr in die Stadtbibliothek und lieh alles aus, was er über Shakespeares Ein Sommernachtstraum finden konnte. Er las das Stück und war verblüfft. Es war eine Geschichte über das harte, patriarchalische Athen, das plötzlich die magische Rache des Waldes zu spüren bekam. Der Herrscher Theseus soll bald seine besiegte Feindin Hippolyta, die Amazonenkönigin, heiraten. Seine Welt ist grausam, rigoros und despotisch. Aber in kurzer Zeit füllt sich die Bühne mit Geistern, und das hasserfüllte Paar Theseus und Hippolyta nimmt die Form des Königs und der Königin der Elfen an, Oberon und Titania. Ihre Magie dringt in die Königsburg ein.
Puck ist Oberons koboldhafter Diener, der die Geschichte in eine unerwartete Richtung lenkt. Er ist allgegenwärtig, eine unsichtbare, wilde Macht, die über allem wacht und mithilfe des Unerwarteten dafür sorgt, dass das Tote und Erstarrte zum Leben erweckt wird. Er verwirrt das Sehen der Menschen, lässt die Erotik verrückt spielen und die Menschen den falschen Liebespartner wählen, träufelt Zaubersaft in die falschen Augen. Und am Ende stellt er alles wieder richtig. Aber da ist es verwandelt. Er stürzt ins Chaos, um Ordnung herzustellen. Er ist mit den magischen, fruchtbaren Mächten des Sommers im
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