Ungeschoren
dafür, als Verbrächerin weiterzumachen. Obwohl du gar keine bist. Warum?«
Naska Rezazis dunkler Blick wurde sehr, sehr scharf.
»Verstehst du das wirklich nicht, Sara?«, fragte sie.
»Nein«, log Sara.
»Wenn wir uns … wie sagt man …? hypothetisch vorstellen, es gäbe einen Er – was hat er dann gemacht?«
Jetzt war es an Sara Svenhagen, beharrlich zu schweigen. Sie hatte kein gutes Gegenargument.
Naska Rezazi sagte: »Er hat mir das Leben gerettet.«
Paul Hjelm betrachtete seine Liste von Zeugen für Jorge Chavez’ schwerwiegende Drogengeschäfte. Er saß wieder hinter dem Spiegel; das schien sein Los zu sein. Der Mann hinter dem Spiegel. Wenn man glaubt, niemand sieht einen, dann sieht einen Paul Hjelm.
Puuh.
Im Spiegelsaal saß ein Nichtverdächtiger. Das war schon ungewöhnlich genug. Dass er außerdem einen Zeichner bei sich hatte, war überaus seltsam. Sie sollten nämlich eigentlich nicht dort sitzen. Aber Hjelm wollte sie sehen. Er wollte sehen, ob das Weißhemd aus dem Teleladen vertrauenswürdig war. Er glaubte – immer noch –, solche Dinge entscheiden zu können.
Was dort drinnen vor sich ging, war ein Kampf. Der Kampf des Weißhemds mit seiner Erinnerung. Im Laden war er sich seiner Sache so sicher gewesen. Jetzt sollte mithilfe eines Bleistifts und einer Datenbank ein Gesicht erstellt werden. Und alles wurde so viel schwerer, die Möglichkeiten wurden so gigantisch. Das menschliche Gesicht blieb ein unlösbares Rätsel. Dennoch fand Paul Hjelm, dass der Kampf des Weißhemds mit seinen Dämonen durchaus befriedigend war. Wenn er scheiterte, lag es nicht an irgendwelchen eigenen Phantasmen oder an einem verfehlten Willen, im Mittelpunkt zu stehen. Er strengte sich wirklich an.
Doch noch war kein Resultat in Sicht.
Paul Hjelm kehrte zu seiner Liste zurück. Er hatte noch einmal mit ihnen gesprochen, mit denen, die erreichbar waren. Außerdem hatte er den abwesenden Micke Furberg lokalisiert, er saß im Gefängnis von Ringerike, achtzig Kilometer nordwestlich von Oslo, und verbüßte eine dreijährige Strafe wegen Drogenschmuggels. Es hörte sich nicht richtig gut an. Drogen und das Majls. Hjelm rief in Norwegen an und bekam Furberg an den Apparat, der sofort dafür sorgte, dass es sich besser anhörte.
»Jorge?«, sagte er in reinstem Stockholmschwedisch.
»Aber verdammich, er war doch derjenige, der in dem Laden die Moral hochgehalten hat. Er hat zwar mal einen Zug getan, aber hauptsächlich, um die Starkraucher in der Nähe zu beruhigen. Besonders diesen Idioten Gurgel. Göran Urbansson irgendwas.«
»Gunnar«, sagte Paul Hjelm. »Gab es jemanden, der mit Jorge Probleme hatte? Von den Musikern oder so?«
» Die Bullen hatten Probleme mit Jorge. Er war Bulle und wurde von den Bullen schikaniert. Es war verdammt komisch. Wir anderen haben ihn alle geliebt. Guter Typ. Ich ging weg, als er wegging. Zu einem beknackten Bauernschuppen in Eskilstuna, den ich gekauft habe, um ihn zu einer Drogenzentrale zu machen. Wenn Sie das checken. Bisschen Stoff aus Thailand schmuggeln. Jemand sagte mir, es wäre einfacher, einen Umweg über Norwegen zu machen. Denkste. Jetzt sitz ich hier zusammen mit mental gestörten Kriegsverbrechern aus Bosnien. Vom Europäischen Gerichtshof in den Haag. Sagt Ihnen der Name Drazen Erdemovic was? Er war einer der führenden Figuren beim Massaker von Srebrenica.«
»Ist jemand in letzter Zeit wegen der Geschichte mit der Drogenzentrale mit Ihnen in Kontakt getreten? Es gibt Leute, die behaupten, das Majls wäre eine gewesen.«
»Das Majls? You gotta be kiddin’, man. Das war die reine Sonntagsschule.«
»Keiner hat im Knast Kontakt zu Ihnen aufgenommen?«
»Nix. Keine Seele in anderthalb Jahren. Bis jetzt. Wenn man von der Dusche absieht.«
Als Paul auflegte, hatte er das Gefühl, es müsse mehr zu fragen geben. Geradeheraus vielleicht? Wer klagt meinen besten Freund an? Und warum verbindet er es mit einer eigentümlichen Mordserie?
Und: Sollte ich nicht schnurstracks zu Jorge gehen und ihm alles erzählen? Für den Fall, dass er sich schützen muss? Anderseits hatte er Haschisch im Körper.
Aber das sollte er kaum Micke Furberg fragen.
Sondern eher Jan-Olov Hultin.
So geschah es. Hultin saß in der Sauna. Stina reichte das Handy ins Dampfmeer.
»Schnell, bevor ich einen Schlag bekomme«, sagte der Saunapensionär.
»Der Denunziant hat mehrere Widerlinge ermordet«, sagte Hjelm und kam sich vor, als stünde er vor einem Hollywoodproduzenten und
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