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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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auch heute keine Gehirnwäsche. Tut mir leid.«
    »Ich habe die Ausrüstung im Wagen«, sagte Nyberg und hielt ihm seinen Polizeiausweis hin. »Waschmaschine für pflegeleichte Gehirne.«
    Das auseinanderstehende Augenpaar betrachtete den Polizeiausweis mit einer gewissen Entgeisterung. Kein Pokergesicht, so weit das Auge reichte.
    »Entschuldigung«, sagte er und öffnete die Tür. »Die ganze Woche laufen hier schon die Zeugen Jehovas herum. Wenn man erst einmal nett zu ihnen ist, wird man sie nicht mehr los. Kommen Sie herein.«
    »Danke«, sagte Nyberg. »Sehe ich wirklich einem Zeugen Jehovas ähnlich?«
    Er betrat ein Modellflugzeugmuseum. Überall hingen Modellflugzeuge in allen Größen und Farben. Tillgren führte ihn durch den Dschungel in die Küche. Nyberg wurde an einen Küchentisch gesetzt, der ziemlich lange nicht abgewischt worden war. Über dem Tisch hing ein grellgelbes Modellflugzeug.
    »Nein«, sagte Tillgren und setzte sich. »Nein. Es war eine Fehlreaktion. Sie sehen nicht nach einem Zeugen Jehovas aus. Möchten Sie vielleicht Kaffee?«
    »Nein danke«, sagte Nyberg. »Sie lieben Modellflugbau?«
    »Das ist mein Hobby.«
    »Aber jetzt sind Sie einige Zeit nicht geflogen?«
    Tillgren warf dem großen Polizeibeamten einen raschen Blick zu. »Warum sind Sie eigentlich hier?«, sagte er.
    »Ich glaube, das wissen Sie«, sagte Nyberg.
    Ingvar Tillgren legte die Hände auf den Tisch, als machte er sich bereit, gekreuzigt zu werden. Er schloss die Augen.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte er.
    »Das da«, sagte Nyberg und zeigte auf den Sticker.
    Tillgren betrachtete seinen Arm und nickte. »Darauf wäre ich nicht gekommen«, sagte er. »Hat mich jemand gesehen?«
    »Man wird immer gesehen«, sagte Nyberg. »Das ist eine Lehre fürs Leben: Es gibt immer jemanden, der einen sieht. Auf dem Fahrrad vor dem Krankenhaus. Wo Sie auf das Ende von Elzbieta Kopanskas Nachtschicht gewartet haben. Auf dem gleichen Fahrrad vor Södertörns Hochschule. Wenn Sie sie begrüßt haben, als sie zu ihrem Schwedisch-Intensivkurs ging.«
    »Wir sind uns hier im Viertel begegnet«, sagte Tillgren.
    »Sie ging zum Vorortzug. Ich fuhr auf dem Rad vorbei. Sie sah so traurig aus. Als ob sie an einer furchtbaren Trauer litte. Sie war das Schönste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Drei Wochen hatten wir. Ich glaubte, es wäre fürs Leben. Dass ich endlich nicht mehr allein zu sein brauchte.«
    »Erzählen Sie von Ihrer Beziehung.«
    »Ich habe ein paar Albernheiten mit dem Fahrrad gemacht. Fuhr im Kreis um sie herum, vor und zurück. Führte Kunststücke vor. Wie ein verliebter Fünfzehnjähriger. Ich wartete auf sie, wenn sie mit dem Vorortzug kam. Ich fuhr neben ihr her, aber vorsichtig, damit sie keine Angst bekam. Schließlich brachte ich sie zum Lachen. Ich habe sie eingeladen. Wir gingen in die Pizzeria. Sie erzählte, dass sie erst seit einem Monat in Schweden war. Und sie sprach besser Schwedisch als manche der Nachbarn.«
    »Was passierte weiter, nachdem Sie zum ersten Mal in der Pizzeria waren?«
    »Ich bin mit ihr nach Hause gegangen. Sie fragte, ob ich mit hochkommen wollte. Ich wollte. Danach haben wir uns fast jeden Tag getroffen. An dem Abend, an dem sie starb, sollte Betta zu mir kommen. Ich hatte Essen gemacht. Das ist nichts, was ich besonders häufig tue.«
    »Warum haben Sie sich nicht bei uns gemeldet, Ingvar?«
    Tillgren verstummte. Erst jetzt nahm Gunnar Nyberg die überwältigende Trauer in seinen Augen wahr. Eine Hoffnung, die geweckt worden und wieder erloschen war. Mit dreiwöchiger Verzögerung.
    Scheiße, dachte er gleichzeitig. Das hier ist ganz falsch. Ich habe richtig gedacht, bin aber völlig falsch gelandet.
    »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht«, sagte Tillgren.
    »Ich bin in die Stadt gefahren und habe mich aufs Geländer von Västerbron gestellt. Es war Nacht. Ich stand zwei Minuten da und balancierte. Dann bin ich wieder runtergestiegen und habe mich eingeschlossen. Die Einzigen, die ich getroffen habe, waren die Zeugen Jehovas.«
    »Aber Sie wissen, dass sie ermordet wurde?«
    »Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie tot ist. Ermordet. Ich kann es nicht beschreiben. Wir liebten uns. Frisch verliebt.«
    »Sie wurde am Abend des zehnten Juni ermordet, es war ein Montag. Vermutlich gegen sieben Uhr. Und da haben Sie gerade Essen für sie gekocht?«
    »Ja, sie hatte am Vormittag gearbeitet. Dann kam sie gegen halb fünf nach Hause. Wir hatten uns für acht Uhr

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