Ungestüm des Herzens
du ... «
»Unsinn«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Es ist viel netter, wenn man es nicht so förmlich anfängt.«
Sheldon konnte nichts mehr sagen, ohne seine Stimme zu erheben, und das hätte er nie getan. Samantha drehte sich zu ihm um. Er stand in der Tür zum Salon und starrte die Decke an, als wolle er sagen: Mein Gott, was mag als nächstes kommen? Sie strahlte selbstzufrieden. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so gute Laune gehabt hatte. Sheldon hatte fast seine Fassung verloren - fast. Vor ihrer Abreise würde sie noch erreichen, ihnen beiden zu beweisen, dass Sheldon ein menschliches Wesen war.
In dem Moment, in dem sie die Tür erreichte, wurde noch einmal angeklopft, und Samantha setzte ein freundliches Gesicht auf. Sie muss te dem Gast zeigen, wie anmutig und anständig sie sich benehmen konnte.
»Bienvenido, Señor i ... « Die Begrüßung blieb ihr im Hals stecken, als das Licht auf den Mann fiel, der auf der Türschwelle stand. »Lorenzo?« keuchte Samantha.
»Sam«, sagte er ganz schlicht.
»Oh, mein Gott.« Sie lachte. »Was um Himmels willen tust du hier?«
»Als sich mir die Chance geboten hat, mir Europa anzusehen, konnte ich nicht widerstehen«, erwiderte Lorenzo, während er seinen Hut abnahm. Die Melone machte sich sehr eigentümlich auf Lorenzos Kopf. Sein Blick fiel auf ihren Bauch, und er grinste sie an. »Wie ich sehe, hast du ein bisschen zugenommen. Das steht dir.«
Doch Samantha hörte nicht, was er sagte. Endlich hatte sie die Kutsche und den Mann am Randstein bemerkt, der gerade den Fahrer bezahlte. In heller Panik schlug sie die Tür zu, und dieser Laut ließ Sheldon und Wilkes wieder in die Eingangshalle eilen.
»Bist du verrückt geworden, Samantha?« fragte Sheldon. Er ging zur Tür.
»Es ist ... nicht Teresa.«
Ehe Sheldon etwas sagen konnte, wurde laut an die Tür geklopft.
»Samantha ... «
»Nein! Mach nicht auf, Sheldon. Sie werden schon wieder weggehen.«
»Das ist doch absurd. Wilkes, würden Sie freundlicherweise nachsehen, wer da ist.«
»Verdammt noch mal, Sheldon!« schrie Samantha. So schnell sie konnte, lief sie auf die Treppe zu. » Lass mich wenigstens erst den Raum verlassen«, rief sie über die Schulter zurück. »Ich will ihn nicht sehen.«
»Wen?«
»Meinen Mann.«
»Gütiger Himmel«, rief Sheldon aus. »Sie hat ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, Wilkes. Können Sie sich vorstellen, was der arme Mann von uns denken muss ?«
»Nein, Sir«, erwiderte Wilkes trocken.
»Lassen Sie ihn endlich rein. Wir haben ihn schon zu lange draußen in der Kälte stehen lassen.«
40
»Du kannst dich nicht auf alle Zeiten hier oben verstecken, Sam.«
»Doch, das kann ich, und das werde ich auch tun.«
Froilana schüttelte streng den Kopf. »Dein Bruder hat ihn eingeladen, hier zu wohnen. Irgendwann muss t du ihn sehen.«
»Nein.«
»Aber die novia ist gekommen, und unten wird ein Abendessen für dich gegeben.«
»Sag ihnen, so sollen das Abendessen ohne mich einnehmen.«
»Madre de Dios«, schimpfte Froilana. Sie hatte die Hände auf die Hüften gestemmt. »Willst du, dass dein Mann dich für feige hält? Du machst dir und deinem Bruder Schande. Wie soll der Señor seiner novia das erklären?«
»Es wird ihm schon etwas einfallen.« Samantha seufzte verärgert. »Na gut, meinetwegen. Verdammt noch mal! Lieber treffe ich mit ihm zusammen, als dir den ganzen Abend zuzuhören. Aber du wirst noch wünschen, du hättest mich nicht gezwungen, runterzugehen, Lana«, warnte sie das Mädchen. »Meine Abwesenheit wird meinen Bruder weniger beschämen als meine Anwesenheit. Ich kann mich nicht in einem Raum mit Hank aufhalten, ohne in Wut auszubrechen und aus der Fassung zu geraten.«
Diesmal beschloss ihr Mädchen, zur Abwechslung zu schweigen.
Samantha betrat den Salon kampfbereit, ja, nach Streit lechzend. Aber ein Blick auf Hank reichte aus; sämtliche Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, entfleuchten ihr. Sie nahm nicht einmal die vielen Augenpaare wahr, die auf sie gerichtet waren, und auch nicht die Erleichterung ihres Bruders. Sie ver pass te das Erstaunen auf Teresas Gesicht. Sheldon hatte Teresa hinsichtlich der Verfassung seiner Schwester nicht vorgewarnt. Jean Merimée war da, doch sie sah nur Hank.
Er sah umwerfend gut aus. Sein Haar war auf beiden Seiten zurückgekämmt und wellte sich bis auf seinen Nacken. Sein Gesicht war frisch rasiert, und er strahlte sie mit tiefen Grübchen in den Wangen an. Seine
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