Ungestüm des Herzens
Aber er war so ... so verflucht langweilig. Leblos. Aber vielleicht war Teresa ja auch so wie Sheldon.
»Vielleicht ein Glas Tee?«
»Ich warte, bis deine novia da ist.«
Samantha ging unruhig im Zimmer auf und ab. Sie fühlte sich unwohl, wenn sie mit Sheldon allein war. Sie wünschte, es wäre nicht so gewesen, und sie wußte, dass es nicht so hätte sein sollen, aber es war so. Sie versuchte, sich an ihre gemeinsame Kindheit zu erinnern, doch je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie auch damals fast nie zusammengewesen waren. Sie hatten keine wirkliche Kindheit erlebt, und als Erwachsene hatten sie keine normale Beziehung zueinander.
»Novia. Ein so putziges Wort«, bemerkte Sheldon zu Samanthas Überraschung. »Teresa nennt mich ihren novio. Sie möchte, dass ich Spanisch lerne, aber ich sehe nicht ein, wozu wir beide eine neue Sprache lernen sollen.«
»Sie spricht kein Englisch?«
»Noch nicht sehr gut.«
Samantha grinste. »Wie seid ihr zwei dann jemals soweit gekommen, über eine Hochzeit zu sprechen?«
Sobald sie die Frage gestellt hatte, war ihr klar, dass sie das nicht hätte tun sollen. Sheldon sah sie missbilligend an, und dieser Blick, den sie nun schon so oft gesehen hatte, erzürnte sie. Sie konnte nicht einmal eine spontane Frage stellen, ohne dass er völlig außer sich geriet.
»Du brauchst mir nicht zu antworten, Bruder«, sagte sie steif. »Ich vermute, es geht mich genausowenig an wie alles andere.«
Sein milchweißes Gesicht nahm plötzlich Farbe an, und Samantha war begeistert. Sie wollte wirklich ein einziges Mal erleben, dass ihr stoischer, gefühlloser Bruder aus der Fassung geriet, und sei es nur, um zu beweisen, dass er ein Mensch war. Sie seufzte. Wahrscheinlich war das zuviel verlangt.
»Wir haben wirklich einen Übersetzer gebraucht, als wir uns kennengelernt haben, meine Liebe. Jean Merimée hat sich als durchaus angemessen erwiesen. Du erinnerst dich doch an J ean? Du hast ihn beim Rennen kennengelernt, als du gerade erst angekommen warst und noch nicht ... «
Samantha brach in Gelächter aus, als Sheldons Gesicht noch dunkler wurde. »Als ich mich noch nicht entschieden hatte, deinen Vergnügungen fernzubleiben? Es ist dir immer noch peinlich, stimmt's?«
»Nein, Samantha, die Entscheidung lag bei dir.«
»Meine Entscheidung! Weißt du, mir macht das nichts aus. Für mich ist es ganz natürlich, dass ich so aussehe, wie ich aussehe. Aber ich wußte, wie unwohl dir mit mir zumute war, und daher habe ich deine weiteren Einladungen abgelehnt. Sieh nur! Nicht einmal reden kannst du darüber! Ich bedaure deine zukünftige Frau, Sheldon, ich bedaure sie wirklich. Du wirst sie wahrscheinlich in ihrem Zimmer einschließen, wenn sie ... «
»Also wirklich, Samantha!«
Sie lächelte ihn unschuldig an. »Willst du denn keine Kinder haben?«
»Doch, natürlich«, erwiderte er zögernd.
»Dann muss ich Teresa warnen, was deine Einstellung betrifft. Sie wird gut daran tun, alle Neuigkeiten dieser Art so lange wie möglich für sich zu behalten.«
»Gütiger Himmel, du würdest doch nichts dergleichen zu Teresa sagen!«
Grüne Lichter tanzten schelmisch in Samanthas Augen. »Glaubst du nicht, dass Teresa es mir danken würde?«
»Ich danke es dir bestimmt nicht.«
»Wieso, Sheldon? Habe ich dich verärgert?« fragte sie ernst. »Du wirkst recht zornig.«
»Ich bin nicht zornig«, sagte er. Seufzend schüttelte er den Kopf. »Ich kann dich einfach nicht verstehen, Samantha.«
»Du hast es nie versucht«, erwiderte sie in vollem Ernst. »Sonst wüsstest du, dass es nur ein Spaß war.«
»Aber deine plumpe Direktheit ... «
»... gehört zu mir. Seit ich England verlassen habe, konnte ich geradeheraus sagen, was ich meine. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein Segen es ist, diese Freiheit zu haben. Ich werde deine novia nicht mit meiner Direktheit schockieren, Sheldon. Ich kann durchaus taktvoll sein. Er warte nur nicht von mir, dass ich mir bei dir die Zunge verrenke. Du bist mein Bruder, und wenn ich dir gegenüber nicht offen sein kann ... « Sie unterbrach sich und grinste ihn an, als an der Eingangstür geklopft wurde. »So, deine novia erlöst dich von deiner dreisten Schwester. Ich mache ihr auf.«
»Nein, Samantha.«
Doch sie trat aus dem Salon in den Flur und hielt den Butler auf seinem Weg zur Tür zurück. »Das mache ich schon, Wilkes.«
»Samantha!« Sheldon folgte ihr in die Eingangshalle. »Es schickt sich nicht, dass
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