Ungezaehmte Nacht
fast in den Tod gestürzt. Was hast du da oben gemacht, piccola? «
»Auf jeden Fall wollte ich nicht in den Tod springen, falls es das ist, was du denkst«, erwiderte Isabella ungewöhnlich matt. »Ich hatte mich verlaufen.« Ihre langen Wimpern senkten sich. »Ich folgte der Stimme. Die Tür fiel zu. Es war kalt.« Ihre Worte wurden leiser und ihre Sätze so zusammenhanglos, dass sie nicht wirklich Sinn für ihn ergaben. »Wirst du nicht fragen, wieso Hauptmann Bartolmeis Jacke in meinem Zimmer ist? Sarina schien ausgesprochen besorgt deswegen zu sein.« Isabellas Stimme klang bekümmert und verletzt, obwohl sie sich tapfer bemühte, ihre Gefühle zu verbergen. »Ich musste mir von ihr schon einen Vortrag anhören, diskreter zu sein, wenn ich in den Tod stürze, also würde ich gern auf einen weiteren verzichten, falls es dir nichts ausmacht.«
»Schlaf jetzt, cara mia! Ich habe nicht die Absicht, dir oder Rolando Vorwürfe zu machen. Im Gegenteil. Ich bin ihm zu allergrößtem Dank verpflichtet.« Er strich ihr über das Haar und hauchte einen Kuss auf ihre Schläfe. »Hauptmann Bartolmei untersucht bereits, wie so etwas passieren konnte, und wird mir dann berichten. Es gibt nichts, worüber du dich sorgen müsstest. Schlaf nur ruhig, piccola , ich werde bei dir wachen!« Nicolai erhob sich von dem Stuhl, um sich hinter ihr aufs Bett zu legen und sie beschützend an sich zu ziehen.
»Ich glaube, dafür hättest du eine weitere Strafpredigt verdient«, neckte er sie, und sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken. »Aber ich will nicht, dass du Albträume hast, bellezza , deshalb werde ich eine Weile bleiben und sie vertreiben.«
»Ich bin zu müde, um zu plaudern«, murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen, und erfreut darüber, dass er sie ›Schönheit‹ genannt hatte. Sie fand Trost und Geborgenheit in der Stärke seiner Arme und in dem Gefühl seines harten Körpers so dicht an ihrem, doch sie wollte weder sprechen noch denken, sondern sich nur noch in einen erholsamen Schlaf flüchten.
»Dann hör auf zu reden, Isabella!« Nicolai vergrub das Gesicht in ihrem Haar. »Unten warten vier Honoratioren darauf, von mir empfangen zu werden, aber ich bin hier bei dir. Das sollte dir zeigen, wie viel du mir bedeutest. Ich muss jetzt bei dir sein. Also schlaf nun, und lass mich dich behüten!«
Wo ihr vorher eiskalt gewesen war, innen wie außen, durchflutete sie jetzt eine wohlige Wärme. Isabella kuschelte sich noch tiefer unter die Decken und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.
KAPITEL ACHT
I n den nächsten Tagen wurde der Zwischenfall mit Hauptmann Bartolmei von niemandem erwähnt. Falls irgendjemand Isabellas zerzaustes Äußeres und die Uniformjacke des Hauptmanns um ihre Schultern gesehen hatte, war er taktvoll genug, nichts zu sagen. Don DeMarco sah sie nur selten, da er viele Verpflichtungen hatte und sehr oft mit seinen beiden Hauptmännern und Beratern zusammensaß. Ständig kamen Leute zu ihm und baten um Gefälligkeiten oder erwarteten von ihm, dass er Probleme löste, angefangen von häuslichen Streitigkeiten bis hin zu Staatsangelegenheiten. Isabella beschäftigte sich derweil damit, sich besser im Palazzo zurechtzufinden, und suchte den Kontakt zu den Dienstboten, um sich ihre Namen und Gesichter, ihre Stärken und ihre Schwächen einzuprägen.
Sarina war oft an Isabellas Seite und erklärte ihr, wie gewisse Dinge gehandhabt wurden, was als unabänderliches Gesetz galt, was Don DeMarcos persönliche Vorlieben waren und was geändert werden konnte, falls Isabella beschließen sollte, dass es ihr so lieber war.
Sie beendeten gerade eine Inspektion der Vorratskammern, als in der Halle unten ein Tumult entstand und sie wütend erhobene Stimmen und das schrille Schreien eines Kindes hörten. Zusammen eilten Sarina und Isabella die Treppe hinunter und sahen, dass Betto einen kleinen Jungen schüttelte. Das Gesicht des Dieners war verzerrt vor Wut, eine Maske der Bosheit, während er dem Kind wüste Beschuldigungen an den Kopf warf. Eine Schar Bediensteter umringte sie, aber keiner wagte, sich seiner Autorität zu widersetzen.
Sarina ergriff Isabellas Arm so fest, dass ihre Finger sich in die Haut der jüngeren Frau bohrten. »Was ist los mit Betto? Er erhebt sonst nie die Stimme. Er ist immer ruhig und besonnen.« Die Wirtschafterin war entsetzt. Wie erstarrt, stand sie mit offenem Mund und schreckgeweiteten Augen da und verfolgte fassungslos die Szene vor ihnen. »Was ist nur in
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