Ungezaehmte Nacht
zog Sarina mit sich zu Boden.
Die alte Frau klammerte sich an ihn, drückte ihn an sich und lachte ein bisschen über das Bild, das sie abgeben mussten: zwei alte Dienstboten, die auf dem Fußboden hockten und sich umarmten. Betto, der nicht aufhören konnte zu weinen, legte eine Hand an seinen Kopf. »Brigita, verzeih mir bitte! Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich kannte deine Mutter und deinen Vater. Sie wurden in der Heiligen Kirche getraut.« Er schüttelte den Kopf, hielt ihn in den Händen und stöhnte vor Reue und Beschämung.
»Ich war böse«, entfuhr es Dantel plötzlich. »Ich habe mit der Statue gespielt, obwohl ich wusste, dass sie nicht mir gehört. Und dann ist sie mir hingefallen, und ich hatte Angst und habe sie versteckt.« Er fing wieder zu schluchzen an. »Weine nicht, Betto! Es ist nicht deine Schuld. Ich hab sie wirklich genommen.«
»Betto ist krank«, sagte Isabella und zauste dem Jungen das Haar, um ihn zu beschwichtigen. »Du hast nicht gestohlen, Dantel, und das weiß hier jeder. Betto muss sich nur ausruhen, und wir werden uns alle um ihn kümmern. Sarina wird deine Hilfe brauchen, um ihm das Essen zu bringen und ihn zu unterhalten, während er das Bett hütet. Geh jetzt mit deiner Mutter, und beruhige sie, während wir Betto ins Bett schaffen! Später kannst du Sarina helfen, ihm das Essen zu bringen. Es wird Zeit, dass wir alle Betto einen Dienst erweisen und uns für seine vielen Gefälligkeiten revanchieren.«
»Das werde ich«, versprach Dantel mit fester Stimme und setzte eine gewichtige Miene auf. »Ruf mich, wenn du mich brauchst, Sarina, und ich komme sofort.«
Isabella und Brigita griffen gleichzeitig nach den beiden alten Leuten, um ihnen aufzuhelfen. Als Betto schwankend auf die Beine kam, seine Frau noch immer fest im Arm, spürte Isabella erneut die Präsenz der dunklen, bösartigen Macht und ein Aufwallen von Gehässigkeit und geballtem Hass, die niemand anderem als ihr selbst galten. Eine Hand an ihren aufgewühlten Magen gedrückt, wandte Isabella sich dem Eingang des Raumes zu und blickte zur Decke auf, als könnte sie den Feind tatsächlich sehen.
Brigita und Dantel machten drei Schritte auf den breiten Durchgang zur Halle zu. Isabella sprang ihnen nach, aber ihr warnender Schrei erstarb auf ihren Lippen. Es war zu spät. Das Tier hockte in der großen Halle, die Augen auf Mutter und Sohn gerichtet, mit gefletschten Zähnen und zuckender Schwanzspitze, als läge es auf der Lauer. Es war ein riesiger Löwe mit einer prachtvollen Mähne, die seinen mächtigen Kopf umrahmte, sich über seinen Rücken dahinzog und seinen Bauch umgab.
Mehrere der Bediensteten schrien auf. Einige rannten in den großen Raum zurück und versuchten, sich hinter Möbeln zu verstecken, während andere wie gebannt waren und laut zu beten begannen. Sofort spürte Isabella wieder eine Woge der Häme und der Macht. Zwei der Männer griffen nach den Schwertern, die an der Wand hingen, bewaffneten sich und schickten sich widerstrebend an, die Halle zu verteidigen. Sie sahen absurd aus, eine jämmerliche Verteidigung gegen einen solch machtvollen Feind.
»Bleibt stehen!«, zischte Isabella. »Und schweigt! Verhaltet euch ganz still!« Dann begann sie, sich sehr langsam zu bewegen, ging Zentimeter für Zentimeter um Sarina und Betto herum und beachtete sie nicht, als beide nach ihrem Arm griffen, um sie aufzuhalten.
Isabella zitterte heftig, doch sie wusste, dass es nebensächlich war, wo im Raum sie sich befand, falls das Tier beschließen sollte anzugreifen. Der Löwe war imstande, jeden hier anzufallen und zu zerfleischen. Seine Schnelligkeit war unumstritten, und er war riesig, unbesiegbar. Die beiden Schwerter waren lächerliche Waffen gegen das Tier mit seinen langen Fängen und messerscharfen Krallen. Isabella hatte nicht wirklich einen Plan, sie wusste nur, dass irgendetwas tief in ihrem Herzen und in ihrer Seele sie vorantrieb.
Langsam schob sie sich zwischen den Löwen und seine Opfer. Der Blick der Bestie richtete sich sofort auf sie, und sie erwiderte ihn tapfer. Doch sowie sie ihm in die Augen sah, traf sie die Erkenntnis wie ein Hammerschlag: Zwei Wesen starrten sie an! Eines war ungezähmt und verwirrt, das andere feindselig und gereizt. Sie konzentrierte ihren Blick noch mehr, fest entschlossen, den Löwen bewegungslos zu halten und den namenlosen Schrecken, den seine Augen verrieten, zu ignorieren.
»Sarina, geh zu Don DeMarco!«, sagte sie mit leiser, beruhigender Stimme,
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