Ungezaehmte Nacht
zog sie so fest an sich, dass er sie fast zerdrückte, und küsste sie, bis leidenschaftliches Verlangen sie übermannte, ein Feuer, das rasend schnell außer Kontrolle geriet und mindestens ebenso stürmisch war wie Nicolais aufgewühlte Emotionen. Seine Hände umfassten zärtlich ihr Gesicht, und er blickte ihr tief in die Augen. »Ich habe solche Angst, dir zu glauben, Isabella. Denn falls irgendetwas schiefgehen sollte und ich es nicht beherrschen kann …«
»Was bleibt dir anderes übrig, als es zu riskieren?« Isabella versuchte, ihr kleines Frösteln zu verbergen, doch Nicolai entging nichts, nicht die kleinste Einzelheit an ihr, und sofort zog er die Felle noch fester um sie und steckte sie an den Seiten fest. »Du musst es eben beherrschen. Weißt du überhaupt, wie es geschieht? Oder warum? Ist es dir bewusst, wenn es geschieht?«
In einer nervösen Geste fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich habe immer akzeptiert, womit ich geboren wurde. Eine Gabe, ein Fluch – ich weiß nicht, was es ist. Die Leute glauben an die alten Legenden und hoffen auf ein Wunder. Und nun sind sie davon überzeugt, dass du dieses Wunder bist. Ich weiß nur, dass ich schon immer mit den Löwen sprechen konnte. Sie sind ein Teil von mir. Ich habe nie Angst davor gehabt oder mich dessen geschämt. Ich wusste, dass es mich anders machte, und ich wusste auch, dass meine Mutter deswegen nichts mit mir zu tun haben wollte. Aber da ich mich nicht erinnern kann, wann sie es überhaupt je wollte, war es nicht so schlimm für mich. Sarina und Betto waren immer für mich da, und ich spielte wie jeder andere Junge mit meinen Freunden Sergio und Rolando.«
Isabella lehnte sich an ihn, weil er mehr Trost zu brauchen schien als sie. Das Brennen in ihrer Schulter war die einzige Erinnerung an den Vorfall. Nicolai war so charismatisch, dass sie ohne diese kleine Wunde nie geglaubt hätte, dass es geschehen war. Irgendwie schaffte er es, sich in ihr Herz zu stehlen, bis es Nicolais wegen schmerzte … und wegen der Qual, die sich in seinen Augen widerspiegelte. »Und dein Vater?«, fragte sie.
Nicolai seufzte und nahm die Zügel wieder auf. »Er zog sich von allen zurück und wurde immer wilder und brutaler, bis selbst ich den Mann nicht mehr ausstehen konnte, den meine Mutter verlassen wollte. Er fand es heraus, bevor sie den Palazzo verlassen konnte, und jagte sie durch die Flure und die Treppen hinauf und hinunter. Sie rannte zu dem großen Turm und auf den Hof hinaus. Ich wusste, was geschehen könnte, deshalb folgte ich meinem Vater und versuchte, ihn noch aufzuhalten, aber das Tier hatte schon zu viel Macht über ihn gewonnen. Und nachdem er meine Mutter getötet hatte, griff er mich an.« Mit zitternden Fingern berührte er die Narben in seinem Gesicht, ein Mann, der sich den Albtraum eines Jungen in Erinnerung rief. Er sagte nichts mehr, sondern starrte wieder auf den glitzernden See hinaus.
»Und die Löwen haben dich gerettet, nicht wahr?«, hakte Isabella sanft nach.
Er nickte, und sein Gesicht verhärtete sich wieder. »Ja«, erwiderte er knapp. »Sie töteten meinen Vater, um mich zu retten.«
»Als du ein kleiner Junge warst, kam das Tier in dir da schon zum Vorschein?«
Nicolai ließ die Zügel klatschen, und die Pferde setzten sich in Bewegung. »Nein, niemals. Doch an jenem Ta g d o r t i m castello veränderte mein Leben sich für immer. Nicht einmal Sarina konnte mich noch sehen, wie ich wirklich war. Wenn sie mich anschauen, meine Freunde und meine Leute, sehen sie etwas anderes. Alle.« Er senkte den Blick auf seine Finger an den Zügeln. »Ich sehe meine eigenen Hände, aber sie nicht. Es ist ein einsames Leben, das ich führe, cara , und ich hatte gehofft, so etwas niemals an mein Kind weiterzugeben.«
» Ich sehe deine Hände, Nicolai.« Wie zur Bekräftigung legte Isabella eine Hand auf seine. »Ich sehe dein Gesicht und dein Lächeln. Ich sehe den Mann, den gut aussehenden, wunderbaren Mann«, fügte sie nachdrücklich hinzu und rieb zärtlich den Kopf an seiner Schulter. »Du bist nicht mehr allein. Du hast jetzt mich. Und ich laufe nicht vor dir davon, sondern bleibe bei dir, weil ich bleiben will.« Und möge Gott ihr beistehen, denn was sie sagte, war die reine Wahrheit. Sie wollte bei ihm sein, ihn in den Armen halten und ihm mit ihrem Körper Trost spenden. Sie wollte die Schatten aus seinen Augen vertreiben und den Albtraum, der seine Kindheit so jäh beendet hatte, aus seiner Erinnerung
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