Ungezaehmte Nacht
seinem Blick aufzulodern.
Die Kälte, die Isabella erfasste, hatte nichts mit der winterlichen Temperatur zu tun. Sie zog an Nicolais Haar. »Dann erklär es mir, und wir werden sehen, ob ich eine ängstliche bambina bin, die schreiend vor dem Mann davonläuft, an den sie sich gebunden hat.«
Nicolai packte sie so hart an den schmalen Schultern, dass es wehtat, und er schüttelte sie, als wäre die Intensität seiner Gefühle mehr, als er ertragen konnte. Isabella stockte der Atem, als etwas, das sich wie scharfe Nadelspitzen anfühlte, in ihre Schultern eindrang. Aber sie nahm sich zusammen, bevor ein Schmerzensschrei über ihre Lippen kommen konnte, und blickte nur auf ihre linke Schulter und Nicolais Hand herab.
Ganz klar und deutlich sah sie eine gewaltige Löwenpranke mit messerscharfen Krallen. Die Spitzen dieser langen, nach innen gebogenen Krallen bohrten sich in ihre Haut. Und diesmal war es keine Illusion, sondern eine Realität, der sie sich stellen musste. Ein Teil von ihr war so schockiert, so entsetzt und verängstigt, dass sie nur noch schreien konnte. Doch es waren lautlose Schreie. Tief in ihrem Kopf und ihrer Seele schrie sie und weinte, um sich und um DeMarco, voller Mitleid mit ihnen beiden. Nach außen hin jedoch blieb sie eine Vernaducci, und Vernaduccis, ob männlich oder weiblich, erlagen nicht der Hysterie. Und deshalb kämpfte Isabella um ihre Beherrschung und blieb ganz ruhig sitzen.
Nicolai hatte ihr nichts vorgemacht. Es bestand Gefahr hier, tödliche Gefahr. Sie knisterte förmlich in der Luft um sie herum. Auch die Pferde wurden schon unruhig, warfen die Köpfe zurück und tänzelten nervös zur Seite. Isabella sah, wie sie wild die Augen verdrehten, als sie das Raubtier in der Nähe witterten.
Sie atmete tief durch, um nicht die Fassung zu verlieren. »Nicolai«, sagte sie dann leise und erhob den Blick zu ihm.
Seine Augen funkelten sie wild und aufgewühlt an; sie brannten vor Leidenschaft und Feuer. Doch obwohl sie ihr Angst einjagten, weigerte Isabella sich, Nicolai DeMarco so zu sehen, wie ihn die anderen sahen, und zwang sich, seinen Blick so ruhig wie möglich zu erwidern. »Was hat deine Mutter getan, als dein Vater ihr die Wahrheit sagte?« Die Kälte hatte den Schmerz in ihren Schultern betäubt, aber bei ihrer Frage bewegten sich die Pranken auf ihren Schultern, sodass die Krallen sich noch tiefer in ihr Fleisch bohrten und schon dünne Rinnsale Blut daran hinunterliefen.
»Was glaubst du denn, was sie getan hat? Sie ist vor ihm davongelaufen. Sie versuchte zu fliehen. Nicht einmal mich konnte sie noch ansehen, sowie ihr klar geworden war, was aus mir werden würde.« Seine Stimme war wie ein raues Knurren, als hätten sich sogar seine Stimmbänder verändert und als fiele ihm das Sprechen nicht leicht.
»Ich schaue dich an und sehe einen wunderbaren Mann, Nicolai. Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber du bist kein Tier ohne Verstand oder Gewissen. Du besitzt eine ungeheure Selbstbeherrschung und ein klares und logisches Denkvermögen. Ich habe nicht die Absicht, vor dir davonzulaufen, Nicolai DeMarco.« Sie konnte fühlen, wie die Krallen sich zurückzogen und die Wildheit in ihm schwand.
Die Pferde spürten es auch. Sie beruhigten sich und standen still und ruhiger atmend da, was Isabella an dem weißen Dampf sehen konnte, der aus ihren Nüstern kam.
Nicolai blickte auf ihre zarte Haut herab, und ein wütendes Knurren entrang sich ihm. Dann fluchte er heftig und zog den Morgenmantel über ihre Wunden. » Dio , Isabella! Ich darf dich nicht in Gefahr bringen, nicht um meinetwillen und auch um aller anderen willen nicht. Ich dachte, wenn ich dich nicht liebte, wenn ich gar nichts fühlte, wärst du sicher, doch ich habe noch nie solch tiefe Empfindungen für jemanden gehabt.« Er sah zutiefst erschüttert aus, blass bis unter seine dunkle Haut. »Was habe ich dir angetan?«
»Du bist keine Gefahr für mich, Nicolai. Hast du das noch nicht bemerkt?« Sie schmiegte sich an ihn und suchte seinen Mund. Nicolai war ganz steif vor Angst um sie. »Außerdem ist es mein Risiko. Ganz allein das meine, hörst du? Du kannst niemanden dazu zwingen, dich zu lieben oder nicht. Liebe muss freiwillig geschenkt werden, und sie lässt sich nicht verbieten.« Isabella bedeckte sein Kinn mit vielen kleinen Küssen, bis sie seine Mundwinkel erreichte und so verlockend und verführerisch mit den Lippen über seine strich, dass er nachgeben musste, weil er gar nicht anders konnte.
Er
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