Ungleiche Paare
Garten des Beuroner Meditationshauses angeleitet wurde, neigte sich das Pflanzenjahr schon dem Ende zu. Ich musste lediglich ein paar verhärmte Grasbüschel aus dem Weg zupfen, ein bisschen Erde anhäufeln und verblühte Triebe abschneiden. Bevor die Gartengeräte eingefettet im Schuppen verschwanden, durfte ich zwischen schwarz gewordenen Stauden noch ein paar feuchte Blätter zusammenharken und den Blick schweifen lassen. Alles sollte langsam und bewusst geschehen. Die waldigen Berghänge hatten ihren braunen Winterpelz angelegt. Abwärts der bleichen Wiese murmelte schwarz und einsilbig die Donau und atmete Kälte hoch. Vom Kloster herüber, von brandigem Geruch getragen, klang dünn und eisern die Stundenglocke.
Bei uns gab es einen kräftigen Gong. Er rief zum Sitzen oder zum Essen. Vier hartnäckige Dauergäste – zwei befreundete ältere Damen, ein dicker Jüngling namens Björn, angeblich Höhlenforscher, und ich – verbrachten die frühen Vormittage in der Haltung, die man auf japanischen Tuschezeichnungen bewundert. Jeweils fünfundzwanzig Minuten lang saßen wir, wanderten danach fünf Minuten schweigend im Kreis, setzten uns wieder, beobachteten unseren Atem und das Vorbeiziehen der Gedanken oder vergaßen es, gingen eine halbe Stunde später abermals achtsam im Kreis, saßen wiederum, gingen, lockerten die Glieder und versammelten uns endlich beim Mittagsgong zu einem kraftlosen vegetarischen Mahl, das schweigend geschluckt wurde, schliefen oder dämmerten, saßen amspäten Nachmittag abermals ein paar Stunden lang mit lockernden Unterbrechungen und widmeten uns abends der vergeistigenden Lektüre.
Gelegentlich, an Wochenenden, gesellten sich andere Meditierende dazu, allesamt hingebungsvoll und fest zur Absichtslosigkeit entschlossen. Mehr geschah nicht. Und das genügte. Die Gedanken schwebten langsamer über die Leinwand. Stille sickerte in die Blutbahn.
Zugleich sammelte sich jedoch Energie. Energie, die sich mit der Zeit kribbelnd bemerkbar machte. Schließlich füllte sie bis zum Überquellen jenen Akku im Kraftwerk unterhalb des Nabels, das, wie eine der älteren Damen uns dummen Jungs nahebrachte, das Sakral-Zentrum genannt wurde. Das klang heilig. Doch der rundliche, auch bei karger Kost gemütlich schmatzende Björn flüsterte mir zu: Sexual-Chakra. Es schien der treffendere Ausdruck zu sein für den prickelnden Ausstrahlungsort.
Gehört hatte ich davon. Nun nahm ich es zum ersten Mal wahr, als körpereigenes Kraftwerk, betrieben mit erneuerbarem Rohstoff. Wenn ich nachts wach lag, weil jene Körperregion sakral vibrierte, und wenn ich zur Ablenkung dem Knarren der Balken lauschte, kam Lena mir in den Sinn. Ich stellte mir vor, sie sei spontan angereist, durch die unverschlossene Verandatür ins Haus geschlüpft und stapfe durch die dunklen Flure, auf der Suche nach meinem Zimmer. Hoffentlich schaute sie nicht versehentlich bei Björn rein. Sie mochte Genießer.
Wenn sie jetzt käme! Onanieren war keineswegs verboten, allerdings auch nicht gerade empfohlen worden. Wir sollten sorgsam mit unserer Energie umgehen, hieß es vieldeutig. Verschwenden wollte ich vorerst nichts. Manwürde es nur wieder am getrübten Augenlicht ablesen. Augustinus hatte Gott dafür gedankt, dass er nicht verantwortlich sei für seine Träume. Genau wie er, der heilig gesprochene, freute ich mich über jeden einzelnen wet dream und den folgenden sanften Übergang ins Erwachen. Ich schrieb Lena unzensierbare Briefe.
Natürlich war nicht sie es, deren geisterhafte Schritte ich vom Dachboden hörte. Doch Schritte waren es. Bald erfuhr ich: Der verschollene Gründer des Hauses ging um. Die beiden grauen Pensionärinnen wussten davon. Niemand glaubte ernsthaft an den Besuch von Untoten. Nach längerer Meditation hielt man allerdings einiges für möglich. Der unheilvolle Werdegang des Gründers wurde mit der Aura einer Gespenstergeschichte erzählt. Und es stellte sich heraus, dass ich nicht zufällig in dem Zimmer wohnte, in dem er geschlafen hatte.
All die mönchischen Männer
Er war Priestermönch im Kloster gewesen, in den experimentierfreudigen siebziger Jahren. Der Beuroner Abt hatte ihm die Erlaubnis erteilt, die weltanschauungsfreie Zen-Meditation auszuüben und zu lehren. Hugo Enomiya-Lassalle aus der edlen Gesellschaft Jesu hatte damals Zen aus Japan nach Europa gebracht, als ordinierter Priester und zugleich ordinierter Zenmeister. Man untersagte ihm die doppelte Ausrichtung nicht. Auf dem vatikanischen
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