Ungnade: Thriller (German Edition)
ins Glas geschaut hatten und das auch jeden Anwohner der Straße wissen ließen– um drei Uhr morgens.
Die Party löste sich sofort auf, nachdem sie an der betreffenden Wohnungstür geklingelt hatten. Die Drogen wurden die Toilette hinuntergespült, die Dealer suchten das Weite, der Auftrag schien erledigt.
Bevor sie aufs Revier zurückfuhren, um den Bericht aufzusetzen, wollten Rebecca und ihr Kollege allerdings noch ein letztes Mal durch die Wohnung gehen. Sie hatte den Jungen gefunden. Allerhöchstens drei Jahre alt, lag er in dem winzigsten Zimmer zusammengerollt unter seinem Bettchen. Rebecca glaubte, er würde schlafen. Als es ihr nicht gelang, den blonden Fratz zu wecken, kniete sie sich auf den Fußboden und griff unter das Bett, um ihn wachzurütteln. Dabei bemerkte sie eine Flasche mit flüssigem Methadon in seiner kleinen Hand. Eine leere Flasche.
Bloß noch ein schwacher Puls, Blaulicht, Notfallmediziner in grünen Kitteln.
Dann eine lange Nacht im Krankenhaus.
Für den Kleinen die längste Nacht. Nicht enden wollend. Für immer und ewig.
Es war das letzte Mal, dass ihre Arbeit sie zum Weinen gebracht hatte. Die Tränen trockneten sechs Monate nicht, bis die Gerichtsverhandlung gegen die Eltern beendet war, bei der auch Rebecca in den Zeugenstand hatte treten müssen. Zumindest konnten sie die Köpfe nicht aus der Schlinge ziehen, indem sie sich schuldig bekannten. Beide saßen in Untersuchungshaft, bekamen aber einen Pflichtverteidiger. Finanziert durch Rebeccas Steuern– damit die Mörder eines kleinen Engels, den sie eigentlich hätten beschützen sollen, bis er selbst ein Mann war, möglichst den besten Kronanwalt weit und breit bekamen.
Auch wenn die Eltern am Ende doch schuldig gesprochen würden– der Umstand machte Rebecca krank.
Lasst Recht walten. Aber das genügte nicht; man musste auch sehen können, wie es waltete. Der Angeklagte gilt als unschuldig, bis die Anklage seine Schuld bewiesen hat. Jeder hat Anspruch auf ein faires Verfahren, auf kompetente Verteidigung vor Gericht. Menschenrechte und all das.
Nemo me impune lacessit.
Das Motto auf dem Wappenschild in jedem schottischen Gerichtssaal.
Niemand reizt mich ungestraft.
Wie wäre es also mit je fünf Jahren Haft? Nach der Hälfte kämen sie sowieso raus. Ihr Kind liegt unter der Erde, und die Eltern würden im Pub feiern.
21
Roddy saß auf einem Stuhl neben seinem Bett. Er trug eine Cargohose und ein verwaschenes schwarzes Sex Pistols-Shirt, nippte an einem angeschlagenen Krankenhausbecher mit Tee und blätterte in einer drei Monate alten Ausgabe der Zeitschrift Hello!.
Die einzige weitere Person im Raum war seine Bandmanagerin, eine dünne Frau mit elfengleichen Zügen und kurzen schwarzen Haaren, die den Eindruck, sie stamme nicht von dieser Welt, noch verstärkte. Mit ihrem Handy telefonierend lief sie vom einen Ende des Zimmers zum anderen und zurück. Es war die Frau, die nach Roddys Sturz von der Bühne zu ihm hinuntergesprungen war.
Die Bandmanagerin verzog das Gesicht, als Rebecca hereinkam, und beendete abrupt ihr Telefonat. » Ich melde mich dann später wieder.« Roddy blickte auf und lächelte.
» Weißt du eigentlich noch, was du dabei bist zu tun?«, beschwerte sich die Managerin bei ihrem Schützling. » Mitten während der Tour Ferien zu machen! Die werden uns mit ihren Schadenersatzansprüchen die Bude einrennen.«
Unüberhörbar Engländerin. Public School in Reinkultur. Trotzdem redete sie, als wäre sie lieber Amerikanerin. Wahrscheinlich sagte sie auch Pampers statt Windeln und Lift statt Fahrstuhl.
» Es ist meine Sache«, bemerkte Roddy, » nicht deine.«
» Du weißt ganz genau, was ich meine.«
» Außerdem kann man das wohl kaum als Ferien bezeichnen. Bist du gestern Abend etwa nicht dabei gewesen, als ich einen Hechtsprung von der Bühne gemacht habe?«
» Der Arzt sagt, dass du in etwa einer Woche wieder voll auf dem Damm bist«, sagte sie mürrisch. » Wir sind noch vier Wochen lang ausgebucht. Hast du vergessen, dass wir wegen deiner… Vorlieben nur eine begrenzte Ausfallversicherung abschließen konnten?«
» Ich muss mal raus aus allem, klar? Mein Entschluss steht fest. Ich hätte es schon längst tun sollen. Entweder das, oder sie können mich bald einbuddeln.«
» Das wäre vielleicht gar nicht mal so schlecht«, warf Rebecca ein. » Was meinst du, wie die Verkäufe deiner Platten dann in die Höhe schnellen?«
Roddy grinste, aber die Managerin warf Rebecca einen finsteren
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