Ungnade: Thriller (German Edition)
herumlief, der wusste, wie er aussah und welchen Namen er benutzte– auch wenn das natürlich nicht sein richtiger war. Dieser Paul mochte sein Auftraggeber sein, quasi sein Boss, aber waren es nicht meistens er und seinesgleichen, die die Suppe auslöffeln durften, wenn dann plötzlich die Bullen vor der Tür standen?
Auch die geistige Verfassung seines Auftraggebers bereitete ihm Kopfzerbrechen. Die Bezahlung war gut– viel zu gut. Ein Umstand, der Hudsons Argwohn erweckte. Steckte bei diesem Job mehr dahinter als einfach die üblichen guten Gründe, aus denen man jemanden aus dem Weg schaffen wollte? Bei seiner Arbeit war kühle Leidenschaftslosigkeit der Schlüssel zum Erfolg. Kamen persönliche Animositäten ins Spiel, führte das nach Hudsons Erfahrung eher zu Verwicklungen– für sämtliche Beteiligten. Zu oft hatte er erleben müssen, dass solche Kollegen ein böses Ende nahmen. Die Arbeit eines Berufskillers verlangte Disziplin und Selbstbeherrschung, wüste Erschießungsorgien per Maschinengewehrfeuer waren nicht seine Welt.
Außerdem hatte ihm sein Auftraggeber ausdrücklich klargemacht, dass bewusste Polizistin aus nächster Nähe getötet werden sollte.
» Benutzen Sie ein Messer«, hatte er ihm eingeschärft. » Es ist mir egal, ob es schnell geht oder nicht, aber sehen Sie zu, dass sie erfährt, wer Sie geschickt hat, ehe Sie ihr das Licht ausblasen.«
» Mit einem Messer geht es nie schnell«, hatte Hudson geantwortet. » Sie wird’s also schon mitbekommen.«
» Gut. Und wenn Sie dann noch dafür sorgen können, dass es ein qualvoller Tod wird, umso besser. Wir verstehen uns?«
Die Anforderungen machten den Auftrag zu einer schwierigen Sache, die mehr Improvisation erforderte, als Hudson normalerweise lieb war. Bevorzugt erledigte er seine Arbeit mit einem Zielfernrohr und aus größerer Entfernung. Ein kleines Loch im Schädel, und schon gingen sämtliche Lichter aus.
Als er vorhin den beiden Frauen in die Stadt gefolgt war und gesehen hatte, wie sie ein indisches Restaurant betraten, hatte er schon überlegt, alles für heute abzublasen. Sein Auftraggeber mochte ihn auf diese Frau angesetzt haben, aber ihm, Hudson, blieb es überlassen, wann und wo es passierte. Doch dann war ihm das Glück doch hold gewesen. Die beiden Frauen gingen auf das Konzert, auf dem ideale Bedingungen herrschten: Menschenmassen, Dunkelheit, Lärm. Außerdem trieb sich bei Veranstaltungen dieser Art eigentlich immer jemand mit einem Messer herum.
Er musste nur ein paar rasche Entscheidungen treffen, um die Angelegenheit ins Rollen zu bringen. Auf dem Parkplatz des Messezentrums tauschte er sein relativ respektables kurzärmeliges Leinenhemd gegen das T-Shirt und schnallte sich für den Fall, dass es in der Halle Metalldetektoren gab, das Keramikmesser an sein Bein. Nachdem er sich noch Bargeld besorgt hatte, um einem der verhinderten Konzertbesucher, die vor dem Eingang ihre Tickets anboten, seine Eintrittskarte abzukaufen, konnte es losgehen. Alles hatte schnell gehen müssen, während er gleichzeitig die Frauen im Auge behielt: Würden sie ihm vor Betreten der Halle entwischen, hätte er ernsthafte Schwierigkeiten, sie unter zehntausend oder mehr Fans wiederzufinden.
Er kam gerade vom Geldautomaten, als die beiden den Eingang erreichten, und musste sich beeilen, um sie einzuholen, sodass er das erstbeste Ticket kaufte, um ja nicht den Anschluss zu verlieren. Langes Feilschen konnte er sich jetzt beim besten Willen nicht leisten.
Er sah, dass die Polizistin gleich hinter der Eingangstür stehen geblieben war und wartete, also hängte er sich an eine Gruppe junger Mädchen, um mit ihnen zusammen gesehen zu werden, als er den Teenagern in die Messehalle folgte. Dabei nahm er zum ersten Mal Blickkontakt mit seinem Opfer auf. Später würde sich die Frau nichts Böses dabei denken, wenn sie ihn in ihrer Nähe sah.
Im Konzertsaal wartete er seinerseits neben der Tür, bis die Polizistin mit ihrer Freundin hereinkam, und folgte ihr dann. Wahrscheinlich wäre es das Beste, gleich zu Beginn des Konzerts zur Tat zu schreiten. Dann war die Menge in Aufruhr, und die Musik übertönte jedes andere Geräusch. Zudem kippten bei solchen Konzerten alle naselang Fans um, sodass es einen Augenblick dauern würde, bis jemand von den Umstehenden merkte, dass die Frau ernsthaft verletzt war. Zu diesem Zeitpunkt hätte er sich schon längst wieder unter die Menge gemischt, um anschließend mit anderen Konzertbesuchern panikartig
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