Ungnade: Thriller (German Edition)
verletzter Patienten gewohnt. Es ging auf fünf Uhr nachmittags zu, und Alex Cahill war heilfroh, nicht länger in der Klinik bleiben zu müssen.
» Ich hasse Krankenhäuser«, beschwerte er sich bei Samantha.
» Ich weiß.«
Er schloss die Augen und zog eine Grimasse, als sie ihm ein frisches T-Shirt überstreifte, bevor er sich mit schlaff zu beiden Seiten herunterhängenden Armen aufs Bett setzte, um darauf zu warten, dass der Schmerz, der seinen Körper durchströmte, abebbte. Samantha hatte sich vor ihn gekniet und legte die Hand unter sein Kinn, um ihm in die Augen zu sehen.
» Wenn du dich noch nicht danach fühlst, nach Hause zu kommen, dann sag es bitte. Ich kann mit den Schwestern sprechen, damit sie dich noch eine Nacht hierbehalten.«
» Nein, ich möchte nach Hause.«
» Wir alle wissen, dass du ein zäher Bursche bist, Alex. In dieser Hinsicht brauchst du uns wirklich nichts zu beweisen. Vor allem mir nicht.«
Cahill beugte sich vor, bis seine Stirn die ihre berührte. » Das weiß ich. Und dafür liebe ich dich. Aber ich möchte nur raus hier und die Nacht in meinem eigenen Bett verbringen.«
Samantha erhob sich und drehte seinen Kopf nach allen Seiten, um seine Ohren in Augenschein zu nehmen. » Wie steht’s mit dem Hören? Du sagtest, gestern Abend hättest du Schwierigkeiten damit gehabt.«
» Schon besser«, sagte er. » Da ist noch so eine Art Klingeln, aber ich kann alles schon wieder viel besser verstehen.« Er versuchte sich zu bücken, um seine Schnürsenkel zu binden, fuhr aber jäh wieder hoch und griff sich an die Rippen.
» Lass mich das machen«, sagte Samantha. » Bleib ruhig sitzen.«
Cahill lehnte sich auf dem Bett zurück, als vor der offenen Tür ein ganzer Trupp Klinikpersonal vorbeiging. Der Geruch hier war wie in allen Krankenhäusern, in denen er bisher gewesen war. Auch in den Feldlazaretten der Army war es nicht anders gewesen: Sie stanken nach Desinfektionsmittel, Blut und menschlichen Exkrementen.
» Habe ich dir je erzählt, warum ich Krankenhäuser so sehr hasse, Sam?«
» Ich nehme an, du hast genug davon gesehen, als du in der Army warst?«
» Da kannst du Gift drauf nehmen. Aber das ist es nicht.«
» Niemand liegt gern im Krankenhaus.«
» Als ich noch ein Kind in Colorado war, waren wir eine kerngesunde Familie– wahrscheinlich wegen der frischen Luft und der Höhenlage. Ist gut für die Gesundheit, weil die Lunge in der dünneren Luft stärker arbeiten muss, um Sauerstoff aufzunehmen.«
» Denver liegt genau eine Meile über dem Meeresspiegel, ich weiß. Du hast es mir oft genug erzählt.«
» Jedenfalls musste zum ersten Mal einer von uns ins Krankenhaus, als ich fünfzehn Jahre alt war und noch zur Schule ging. Die Mutter meines Vaters, meine Grandma, hatte Krebs, einen der aggressiven Sorte. Von dem Tag, an dem die Ärzte es herausfanden, bis zu ihrem Tod hat es nur vier Wochen gedauert.«
Samantha hatte ihm die Schnürsenkel gebunden, stellte sich vor ihren Mann und strich ihm mit den Händen über Kopf und Nacken. » So etwas ist immer schlimm«, sagte sie.
» Mein Dad wollte nicht, dass ich mitkam, wenn sie sie besuchen fuhren. Er wollte nicht, dass wir Kinder mit dem Tod konfrontiert würden, wollte uns davor behüten, solange er konnte. So war er zu mir und meinem Bruder.«
» Aber er hat doch ordentliche Männer aus euch gemacht.«
» Ich denke schon. Auf seine ganz eigene Weise.«
» Wann hast du das letzte Mal mit deinem Bruder gesprochen?«
» Ist schon ein paar Monate her.«
» Du solltest ihn anrufen, wenn wir wieder zu Hause sind.«
» Mach ich. Gute Idee.«
» Wolltest du mir noch etwas über deine Grandma erzählen?«
» Eines Tages haute ich früher aus der Schule ab, stieg in einen Bus und fuhr zum Krankenhaus. Am Abend vorher hatte ich meine Eltern darüber sprechen hören, dass Grandma nicht mehr lange zu leben hätte, und ich wollte sie noch einmal sehen. Als wir noch kleiner waren, war sie immer sehr lieb zu uns gewesen, hatte uns mit Comics und Süßigkeiten verwöhnt. Ich hatte das Gefühl, es ihr schuldig zu sein.«
Er senkte den Kopf und ließ sich von Samantha den Nacken massieren. Geduldig wartete sie, bis er weitererzählte.
» Ich erreichte das Krankenhaus außerhalb der offiziellen Besuchszeit, schlich mich am Schwesternzimmer vorbei und fand Grandmas Zimmer. Damals nahm man es noch nicht so ernst mit den Sicherheitsvorkehrungen.« Er blickte zu seiner Frau auf und ergriff ihre Hände. » Es war, als
Weitere Kostenlose Bücher