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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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Gänze verschwunden, sondern hatte
einer neuen Qualität Platz gemacht: Er strahlte eine Distinguiertheit aus, die
ihren Ursprung höchstwahrscheinlich in der Bewunderung als Oberarzt hatte, die
ihm seine Mitmenschen entgegenbrachten. Darüber hinaus passte er trotz seiner
Vorliebe für deftiges Essen immer noch in Anzuggröße 98. Auch wenn sein
Bauch über dem Gürtel heute ausgeprägter war. Doch anders als wir Frauen stören
sich die Männer nicht an solchen Kleinigkeiten.
    Neulich im Bad waren wir in trauter Zweisamkeit Zähne putzend vor
unseren Waschbecken gestanden und hatten uns über genau dieses Thema
unterhalten. Martin hatte gemeint, dass er es wirklich nicht verstehen könne,
warum ich, die Frau, mir immer Gedanken darüber machen würde, wie ich aussähe.
Wie ich auf andere wirkte. Das wäre doch irrelevant! Ihn, den Mann,
interessiere überhaupt nicht, was die Leute über ihn dächten.
    Erbost über so viel Borniertheit hatte ich die Zahnpasta schwungvoll
ins Waschbecken gespuckt und ihn angefunkelt. »Ja, aber was andere von mir denken, interessiert dich sehr wohl.«
    Da hatte er gelacht, der freche Kerl!
    Vielleicht lag es ja daran. Martin fand mich nicht mehr attraktiv!
Ich hätte doch maßhalten sollen. Nicht so viel Schokolade essen. Sport treiben.
Jetzt ging ich aus dem Leim, und mein Ehemann war empfänglich für die schmalen
Taillen und schlanken Beine von jüngeren Altenpflegerinnen. Das war es!
    Ich wälzte mich vollgefressen und unglücklich in meinem Bett. Bevor
ich gänzlich in meinem Selbstmitleid versinken konnte, hörte ich die typischen
Geräusche einer heimkehrenden Kinderschar. Und anscheinend waren sie hungrig,
denn sie riefen lauthals nach mir. Man hätte denken können, dass sie in ihrem
Alter den Weg zum Kühlschrank allein finden sollten. Mit einem geschrienen »Ich
komme ja schon« strampelte ich mich aus meinem Jammertal, entwirrte mit den
Fingern meine verstrubbelten Locken und stieg die Treppe in den Alltag hinab.
    Neunzehn Uhr dreizehn
    Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es schon so spät geworden war.
Die stundenlangen Grübeleien hatten nur meinen Verdacht erhärtet, dass Martin
mich mit Schwester Marion betrog. Wundervoll. Da war es ein Segen, dass mich
meine Kinder mit ihren Geschichten aus dem Schwimmbad ablenkten.
    »Und der Max Huber hat den Bene beim Rauchen erwischt. Mann, war der
stinkig!« Vicky biss genussvoll von ihrem Wurstbrot ab.
    »Der Bene?«
    »Nee, der Max. Mensch, Mama! Und er hat gesagt, der Max, dass er den
Bene aus dem Schwimmbad schmeißt, wenn er ihn noch einmal erwischt. Und der
Bene hat gesagt, dass er das gar nicht darf, der Max. Und der Max hat gesagt,
das darf er schon.« Ihr ehemaliger Mitschüler Benedikt war immer schon eines
ihrer Lieblingsthemen gewesen. Ein Raufbold, der nur Unsinn im Kopf zu haben
schien. Jetzt hatte er offensichtlich mit zehn Jahren die vermeintliche
Statuserhöhung durch Zigaretten entdeckt. Na prima.
    »Die Anna war übrigens auch da«, lenkte Susa vom berüchtigten Bene
ab. »Die hatte vielleicht einen alten Badeanzug an! Wahnsinn!«
    »Na und?«, wies Lilli sie empört zurecht. »Sie hat eben nicht so
viel Geld, sich dauernd neue Sachen zu kaufen. Dafür ist sie nett!«
    »Und er steht ihr«, nahm Linus sie in Schutz. Das war ihm wohl
unachtsamerweise so herausgerutscht, denn er wurde ein bisschen rot dabei.
    Ich registrierte es, aber ich würde mich hüten, ein Wort darüber zu
verlieren. Jugendliche waren da sehr empfindlich. »Ist das die Anna, die früher
mit euch im Kindergarten war, Lilli?«
    »Mhm. Und stell dir vor! Jetzt arbeitet sie im Altenheim. Als
Praktikantin. Sie kennt sogar den Opa, hat sie gesagt. Und er hat ihr die
Geschichte von seinem Professor erzählt. Typisch, gell?«
    Wir mussten lachen. Es war wirklich eine seiner Lieblingsstorys.
    Susa wollte auch eine Neuigkeit loswerden und senkte verschwörerisch
ihre Stimme: »Der Linus hat sie scheint’s schon öfter wiedergesehen. Die beiden …«
    »Halt die Luft an, Zwerg!«, fuhr ihr der große Bruder über den Mund.
Ihm gefiel dieses Gesprächsthema offensichtlich gar nicht.
    Da kannte er Susa aber schlecht. So schnell gab sie nicht auf. »Ich
mein ja bloß …« Sie duckte sich fix unter der ausschlagenden Hand durch und
lief aus dem Zimmer. Draußen im Gang schrie sie: »Der Linus steht auf die
Anna.« Dieser rannte der kichernden Plage hinterher. Ganz schön viel Gegenwehr
für diesen albernen Scherz, fand ich. Vielleicht stand mir doch

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