Unguad
Anna war zu Fuß gekommen. Er bot Anna an, ihre
Tasche auf den Gepäckträger zu legen, aber sie schüttelte den Kopf. »Geht
schon.«
Verlegen gingen sie nebeneinander her. »Machst du schon lange
Tai-Chi?«, fragte Linus endlich.
»Ein halbes Jahr vielleicht.«
»Dafür sah es aber schon gut aus.«
»Danke.«
»Ich hab gar nicht gewusst, dass die im Sapperlot so was anbieten.«
»Na ja. Es ist kein offizielles Angebot. Das hat die Toni
mitgebracht, als sie ein Jahr auf Schüleraustausch in Amerika war. Da hat die
das gelernt. Und irgendwie sind wir draufgekommen, dass das ganz lustig wär, es
auch zu machen. Seitdem bringt sie uns das bei.« Sie blickte ihn kurz von der
Seite an. »Macht Spaß.«
Er nickte. »Cool.«
Nun kam das Gespräch langsam in Gang. Zwar waren sie nicht auf der
gleichen Schule, hatten aber gemeinsame Bekannte. Mit ihrem Eis setzten sie
sich am Kirchplatz unter die Kastanienbäume auf eine Bank.
»Und du machst jetzt ein Praktikum im Sonnenhügel?«
»Ja.« Sie schaute ihn herausfordernd an. Anna war es schon gewöhnt,
dass Leute in ihrem Alter das nicht verstanden.
Linus hielt sich allerdings mit jeder negativen Äußerung zurück.
Natürlich. Er wollte sie ja nicht vergraulen. Stattdessen übte er sich in
Einfühlungsvermögen. »Das ist ganz schön viel Arbeit, oder?«
»Schon. Aber ich mach es gern. Die alten Leute sind meistens sehr
nett und freuen sich, wenn ich zu ihnen ins Zimmer komme.«
Er merkte, dass Anna bei dem Thema aufblühte. Das gefiel ihm.
Deshalb überlegte er sich gleich die nächste Frage, auch wenn er die Antwort
darauf schon wusste.
»Kennst du dann auch schon meine Großeltern?«
»Herrn und Frau von Markovics? Ja. Lilli hat mir heute erzählt, dass
das eure Großeltern sind. Hätt ich nicht gedacht, bei dem Namen. Die sind nett.
Besonders dein Opa.« Sie war mit ihrem Eis fertig und putzte sich mit einem
Papiertaschentuch die Finger ab.
»Hat er dir auch schon seine Geschichten erzählt?«
»Ja, eine. Als er noch in der Schule war.« Sie sah, dass Linus
grinste, und meinte, für die Erzählungen seines Opas eintreten zu müssen: »Ich
fand sie echt interessant!«
Linus hob abwehrend die Hände. »Logo, ich auch, keine Frage. Und wie
geht’s dir mit den Schwestern? Behandeln die dich gut?«
»Ja. Schwester Marion ist supernett und die Kerstin auch.« Sie
überlegte, ob sie das Nächste sagen sollte. Da sie zu Linus Vertrauen gefasst
hatte, entschied sie sich dafür. »Vor der Schwester Sieglinde hab ich ein
bisschen Angst. Die ist ziemlich streng. Muss sie wohl als Leiterin.« Sie holte
tief Luft: »Und den Hecker, den mag ich gar nicht.«
»Ist das der Pfleger mit den roten Haaren?«
Anna zog eine Schnute. »Joh. Und den ekligen Fingern.« Sie
schüttelte sich. »Er ist …«, ihr fehlten die richtigen Worte, »… bäh!«
»Wirklich so schlimm?« Linus war der Pfleger bis jetzt nicht weiter
aufgefallen.
Sie setzte sich aufrecht hin. »Das kannst mir glauben!
»Was macht er denn?« Linus war echt neugierig. Er drehte sich zu ihr
und legte ein Knie auf die Bank zwischen ihnen. So hatte er sie voll im Blick.
Mensch, war die niedlich! Saß da wie ein bockiges kleines Kind.
Es war Anna peinlich, davon angefangen zu haben. Sie konnte doch
nicht mit Linus darüber reden! Was sollte sie denn jetzt sagen?
Linus traute sich und legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Arm.
Ihre Haut war seidenweich. Am liebsten hätte er darübergestrichen. Das lenkte
ihn kurzzeitig ab. Dann konzentrierte er sich wieder auf ihr Gespräch. »Na,
warum?«
Die Berührung hatte Anna noch mehr durcheinandergebracht. Um die
angestaute Energie loszuwerden, platzte sie heraus: »Wenn du’s unbedingt wissen
willst! Das ist ein Grapscher!«
»Echt?« Erschrocken zog er seine Hand weg.
»Wenn ich’s dir sag!«
»Bei dir?«
»Klar, bei mir. Sonst wüsst ich’s ja nicht.« Anna verschränkte die
Arme vor der Brust und kickte erbost einen Kieselstein weg.
Linus war bestürzt. Was sollte er darauf antworten? »Das ist krass!«
»Jepp.«
»Und? Hast du’s den Schwestern erzählt? Der gehört doch
rausgeschmissen!«
»Nein, hab ich nicht. Ich bin doch nur die Praktikantin. Ich pass
jetzt auf, dass ich nichts mit ihm zu tun hab. Die eine Woche geht das schon
noch.«
Linus fühlte, dass das nicht die richtige Vorgehensweise war.
Allerdings war er noch nie mit diesem Problem konfrontiert worden. Er war damit
überfordert. So fiel ihm nur die typisch männliche Reaktion
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