Unheil ueber Oxford
Aufschrift »Ausgaben«, in den sie den Kassenbeleg für ihren neuen Füller und das Notizbuch eingeheftet hatte. Schnell fand sie das kleine Stück Papier mit dem blassblauen Aufdruck. Richtig, es stammte aus einer dieser modernen Kassen, die sich nicht nur freundlich für den Einkauf bedankten, sondern auch Datum und Uhrzeit des Kaufs festhielten. Das Datum war Chris’ Todestag. Als Uhrzeit war 15:28 angegeben. Sie hatte Recht gehabt. Sie hatte Chris Townsend unmittelbar vor seinem Tod getroffen. Damit war sie sicher, dass er ermordet worden war. Zwar wusste sie noch nicht, von wem, aber das würde sie bestimmt noch herausfinden.
Später, vor dem Zubettgehen, ging sie durch das ganze Haus und stellte sicher, dass alle Fenster fest verriegelt waren. Außerdem verschloss sie sämtliche Türen und zog die Schlüssel von den Schlössern ab. Noch einmal versuchte sie, Paul zu erreichen. Vergeblich. Durch die Wände hörte sie die Nachbarn, die ihrem üblichen, lautstarken Lebenswandel nachgingen. Normalerweise ärgerte sie sich darüber, doch an diesem Abend fand sie es tröstlich.
Als Kate am folgenden Tag durch das Vorzimmer zur Kaffeeküche ging, sah sie, dass sich die Belegschaft vergrößert hatte. An einer Ecke von Annettes Schreibtisch saß Briony und sortierte zaghaft Papiere auf verschiedene Haufen. Für eine derart schlanke Frau hatte sie erstaunlich breite Hände mit kurz geschnittenen Fingernägeln. Gärtnerhände, dachte Kate, die selbst nicht mehr fertig brachte, als ab und zu ihren Rasen zu mähen. Offenbar hatte Honor Rob Grailing überzeugen können, eine Aufgabe für Briony zu suchen. Und sie musste Briony gut zugeredet haben, die Arbeit in der Quästur auch tatsächlich zu übernehmen. Nach der Gedenkveranstaltung hatte es nicht so ausgesehen, als ob sie große Lust dazu gehabt hätte. Es war ihr sicher nicht leicht gefallen, in dem College, in dem ihr Mann gearbeitet hatte, eine Aufgabe zu übernehmen, für die sie vermutlich nicht qualifiziert war. Wie nett von Honor, sich so um die junge Frau zu kümmern! Aber auch ein wenig gönnerhaft!
Kate lächelte Briony zu. Zunächst starrte Briony sie nur aus runden, grauen Augen ernsthaft an, doch schließlich lächelte sie zurück. Sie hatte einen kleinen Mund und eher schmale Lippen, die sich beim Lächeln auf einer Seite deutlicher kräuselten als auf der andern, was ihr ein geheimnisvolles Aussehen verlieh. Was mag wohl ihr Geheimnis sein?, überlegte Kate. Doch schnell rief sie sich zur Ordnung. Die Frau ist einfach nur schüchtern, schalt sie sich.
Und da Briony nun schon einmal da war, konnte sie ebenso gut einen Vorteil daraus ziehen. Kate nahm sich vor, die junge Frau freundlich zu behandeln. Vielleicht würde sie ab und zu mit ihr Kaffee trinken gehen oder hin und wieder mit ihr gemeinsam zu Mittag essen. Sie war sicher, dass Briony ihr viel erzählen könnte. Abgesehen von allem anderen verfügte sie auf jeden Fall über Hintergrundinformationen aus erster Hand. Zum Beispiel über Chris Townsend. Briony kannte den Klatsch der Finanzverwaltung sicher besser als jede andere.
Kate wollte gerade zu Briony hinübergehen und hatte schon ihr nettestes Lächeln aufgesetzt, als plötzlich Emma ins Büro wirbelte. Die Chance, die junge Frau unter vier Augen über den Tod ihres Ehemannes zu befragen, war dahin.
»Alles bereit für die Invasion?«, rief Emma, zog Kate hinter sich her ins Nachbarbüro und ließ sich auf einer Ecke ihres Schreibtischs nieder. Dabei gerieten Kates ordentlich gestapelte Aktenordner ins Rutschen. Emma fing sie auf und packte sie in willkürlicher Reihenfolge auf die Arbeitsfläche.
»Zumindest war alles bereit«, antwortete Kate mit einem Seitenblick auf den durcheinander gebrachten Stapel. Dabei hoffte sie inständig, dass Emma ihr während ihrer Abwesenheit nicht zu viel Hilfe hatte angedeihen lassen.
»Ich kann leider nur eine halbe Stunde bleiben«, erklärte Emma zu Kates Erleichterung, »aber ich wollte doch wenigstens nachsehen, ob du hier alles unter Kontrolle hast.«
Kate schnappte im letzten Augenblick einen Ordner mit Briefwechseln, der auf den Boden zu fallen drohte. »Aber sicher«, sagte sie, »absolut alles unter Kontrolle.«
Am selben Abend stellte Kate beim Heimkommen erleichtert fest, dass sie keine weiteren Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hatte. Sofort rief sie Paul Taylor an.
»Was ist passiert? Du klingst so aufgeregt«, sagte er. »Hast du dich wieder in Schwierigkeiten gebracht? Soll ich
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