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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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Haustür, um die Milch hereinzuholen und seinen ersten tiefen Atemzug an der frischen Morgenluft zu tun. Das war eine Gewohnheit, die er mit den Jahren angenommen hatte; seiner Frau pflegte er zu predigen, daß der frühe Morgen die einzige Tageszeit sei, wo man in London frische Luft atmen könne. Bis neun würden die Straßen voller Autoabgase sein, also machte er das Beste aus seinen täglichen Atemübungen um halb acht und stand meist volle fünf Minuten auf dem Fußabstreifer vor der Haustür und füllte die Lungen bis zum Bersten, während der Tee in der Küche ziehen konnte.
    Als er die Haustür öffnete, zog er die Luft ein, und bevor er den Nebel sah, waren seine Lungen bereits halbvoll davon.
    Kriminalinspektor Barrow schlief. Auch er hatte eine schwere Woche hinter sich, und dies war sein erster ungestörter Nachtschlaf. Daß er für Holman das Kindermädchen hatte spielen müssen, war ganz und gar nicht sein Fall gewesen; in einer Krise wie der gegenwärtigen gab es für einen Kriminalbeamten Wichtigeres und Besseres zu tun, es galt, Gelegenheiten wahrzunehmen, seine Tüchtigkeit zu beweisen und höheren Orts auf sich aufmerksam zu machen. War er es nicht gewesen, der Holman zuerst ins Präsidium gebracht hatte? Der Mann irritierte ihn. Gewiß, anfangs hatte er ihn hart angepackt, aber sobald er seinen Fehler erkannt hatte, war er bemüht gewesen, die Sache in Ordnung zu bringen. Er war für den Mann verantwortlich, als sie ihn zu seinem Leibwächter machten, hatte sich um ihn gesorgt und versucht, eine freundschaftlichere Beziehung mit ihm herzustellen. Schließlich war Holman durch seine Immunität gegen die Krankheit eine wichtige Person, und wenn ihm etwas zugestoßen wäre, solange er unter Barrows Schutz gestanden hatte, wäre Barrow der Leidtragende gewesen. Aber Holman hatte keinen Wert auf freundschaftlichen Umgang gelegt; er war auf Distanz geblieben, nachtragend und nicht bereit, seine rauhe Behandlung zu vergessen.
    Nun, wahrscheinlich hatte das alles nichts mehr zu sagen, die Gefahr schien vorüber. Der verseuchte Nebel hatte eine Menge Schaden angerichtet, aber nun hatten sie ihn endlich unter Kontrolle — sagten sie jedenfalls.
    Die Gedanken, die ihm schon am Vorabend unaufhörlich durch den Kopf gegangen waren — ein sicheres Zeichen äußerster Ermüdung — meldeten sich jetzt im Halbschlaf nur noch in verschwommener, wohltätig gemilderter Form, und dankbar ließ er sich wieder in die Tiefe traumlosen Schlafes hinabsinken.
    Er schlief noch fest, als das düstere graue Licht des nebligen Morgens in sein Schlafzimmer sickerte.
    Samson King tappte blindlings durch den Nebel. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr lebte er in London, hatte aber noch nie derart dichten Nebel erlebt. Es war gut, daß er nicht weit vom Busdepot wohnte, sonst hätte er es nie gefunden. Schon so war er nicht ganz sicher, daß er in die richtige Richtung ging. Er vermißte die Sonne Jamaicas nicht so sehr wie seine Eltern, denn er konnte sich kaum noch der warmen Strände und der tiefgrünen See erinnern, die sie voll Heimweh beschrieben. Nein, er war die wäßrige Sonne Englands gewohnt und fand gar die wenigen heißen Tage, die das Land bisweilen im Sommer erlebte, äußerst unangenehm.
    Sicherlich würde man nicht von ihm erwarten, in diesem Nebel mit dem Bus loszufahren. Bernice hatte ihn sogar überreden wollen, nicht zur Arbeit zu gehen, aber er befürchtete, es könnte schlecht aussehen. Er wollte diesen Arbeitsplatz nicht verlieren, wie er viele andere verloren hatte; es paßte ihm, hinter dem Lenkrad des großen roten Ungetüms zu sitzen, es völlig zu beherrschen und den übrigen Straßenverkehr in den Schatten zu stellen.
    Hm, aber wo war er? »Verfluchtes Scheißwetter!« fluchte er laut, da er den Klang seiner Stimme hören wollte. Kein Mensch war ihm im Nebel begegnet, und das verschaffte ihm ein eigentümliches Gefühl, nicht von Fleisch und Blut zu sein, sondern mehr wie ein wandernder Geist in einem trüben Nichts.
    Das Depot sollte auf der anderen Straßenseite sein. Die Zebrastreifen vor ihm zeigten, daß die Busstation ungefähr fünfzig Schritte weiter sein mußte. Der Fußgängerüberweg half ihm oft, den Bus in den dichten Straßenverkehr einzufädeln, wenn die Fahrzeuge anhalten und Fußgänger über die Straße lassen mußten.
    Er trat von der Bordsteinkante, lauschte und blickte wachsam nach links und rechts und benutzte die weißen Streifen, um auf die andere Straßenseite zu gelangen.

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