Unheil
zurückbringen, das weiß ich.« Herbert leerte das Glas mit zwei Schlucken, und Harry verzog unwillkürlich das Gesicht bei dem Gedanken, wie die feurige Flüssigkeit in der Kehle brannte und ihm die Magenschleimhaut zerfraß. Herbys Innereien mußten aus Gußeisen sein.
»Kann nicht verstehen, warum sie so lange ausgeblieben sind«, murmelte Herbert, rutschte vom Hocker und stand leicht schwankend. »Ich geh', Harry.«
»Ist gut, Herby, bis morgen«, grinste der Barmann und fügte boshaft hinzu: »Richte der alten Dame meine Grüße aus.«
Beinahe bedauerte er seine Worte, als Herby sich zur Theke zurückwandte und ihn drei lange Sekunden beäugte.
Sein benebeltes Hirn war nicht sicher, wie es den Ton der letzten Bemerkung verstehen sollte.
»Scheiß drauf«, sagte Herbert schließlich und wankte auf wackligen Beinen hinaus.
Einmal draußen, lehnte er ein paar Augenblicke an der Hauswand. Er hatte das letzte Glas zu schnell gekippt und spürte, wie es ihm hochkam. Es war der Gedanke, daß seine geliebten Vögel auf ihn warten könnten, der seine plötzliche Eile verursacht hatte. Er überwand den Anflug von Übelkeit und tappte über die breite Hauptstraße, in deren Mitte er stehenbleiben mußte, um einen Bus der Linie 6 vorbeizulassen.
Seine Frau beobachtete ihn aus dem Schlafzimmerfenster über dem Laden.
Sie hatte es so viele Male getan, daß es ihr längst zur Gewohnheit geworden war. Lange, einsame Stunden hatte sie damit verbracht, aus dem dunklen Zimmer zur belebten Straße hinunterzusehen, nicht, um aufzupassen, wann er heimkäme, sondern aus Einsamkeit und Langeweile. Sie betrachtete die Passanten, die jungen Paare, die Kunden, die sie kannte, machte sich ihre Gedanken, wohin sie gingen, was sie tun würden, wenn sie dort wären. Die Fremden, wer waren sie, was taten sie in diesem Viertel? Manchmal schweiften ihre Gedanken in seltsame, oftmals häßliche Fantasien ab, wenn sie den Leuten nachsah. Es hatte eine Zeit gegeben, als der Anblick einer farbigen Person ihr Stoff zu aufgeregten Spekulationen geboten hatte, aber heutzutage war sie nur mit zorniger Empörung erfüllt. Sie konnte direkt in die hell beleuchteten Oberdecks der doppelstöckigen Busse schauen, die in regelmäßigen Abständen an ihrem Fenster vorbeifuhren. Obwohl die Eindrücke, die sie so gewann, sehr flüchtig waren, beschäftigten sie ihre Neugierde. Und verstärkten das Gefühl von Einsamkeit.
Seit die Jungen das Elternhaus verlassen hatten, blieb ihr zu viel Zeit für sich selbst, zu viel Zeit, um über ihre Ehe und die harten Jahre nachzudenken, die sie ihr gebracht hatte. Die Kinder hatten ihr eigenes Leben zu meistern, das stimmte, aber man sollte meinen, sie würden ihre Eltern öfter besuchen, selbst wenn sie beide jetzt ein bißchen weiter draußen wohnten. Sie freute sich so sehr, wenn sie die Kleinen sehen konnte, ihre Enkelkinder. Herbert war es, der die Jungen mit seiner Sauferei und seiner Streitsucht aus dem Haus getrieben hatte. Welche Zuneigung hatte er ihnen je bezeigt, welches Interesse entgegengebracht? Aber seine Tauben waren eine andere Sache. O ja, nichts war für seine verdammten Tauben zu gut! Wie besorgt er war, wenn er glaubte, sie hätten sich verflogen, wie unruhig hatte er die letzten Tage auf ihre Rückkehr gewartet. Was er nur an ihnen fand.
Man brauchte ihn bloß anzusehen, wie er in betrunkener Stumpfheit mitten auf der Straße stand. Gott, wie sie sich wünschte, daß der Bus ihn überfahren hätte! Sie war diejenige, die das Geschäft zu einem Erfolg gemacht hatte; alles hing an der harten Arbeit, die sie hineingesteckt hatte. Zugegeben, er fuhr sehr früh am Morgen zum Markt, aber warum sollte ihn das für den Rest des Tages entschuldigen? Sie hätten es zu einigem Wohlstand bringen können, wenn er nicht jeden Penny im Wirtshaus und beim Buchmacher verschleuderte. Und nichtsnutzigen Wirtshaushockern und Tagedieben etwas zusteckte. O ja, seine sogenannten Freunde wußten, zu wem sie kommen mußten, wenn sie knapp bei Kasse waren! Der gute alte Herby — der Freund der Armen. Nun, sie hatte von den Einnahmen etwas beiseitegebracht; das mußte sie, andernfalls würden sie bald auf der Straße sitzen, wenn das Geschäft plötzlich nicht mehr ginge. Es war kein Diebstahl; wie konnte man Geld stehlen, das man selbst verdiente? Aber er brauchte nichts davon zu wissen. Da, wie er über die Straße schwankte! Sie konnte nur hoffen, daß niemand von den Kunden ihn sah, den versoffenen alten
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