Unheil
Tauben hinaus konnte. Er mußte sich bücken, da das geneigte Dach der Hütte nicht hoch genug war, um einen ausgewachsenen Mann darin stehen zu lassen. Rasch überprüfte er die Vögel, zählte sie, vergewisserte sich, daß keiner Verletzungen davongetragen hatte. Endlich machte er Claude aus, der hoch oben in einem Winkel seinen Ruheplatz gefunden hatte. Ein sanftes Gurren kam aus seiner Kehle.
»Hallo, alter Claude. Hast du mich vermißt?« Er tappte zu den älteren Tauben, bemüht, die anderen nicht zu beunruhigen. Er merkte nichts von der plötzlich eingetretenen Stille, und daß die Vögel alle ganz ruhig dasaßen.
»Na, Claude, was hast du mir zu sagen?« Er streckte die Hand nach der Taube aus und nahm sie behutsam auf. Er führte sie nahe an sein Gesicht und begann ihr den Kopf und die Brust zu streicheln und leise gluckende Geräusche zu machen. »Du weißt, wohin du gehörst, nicht? Du weißt, wer sich um dich kümmert.«
Plötzlich machte der Kopf des Vogels eine ruckartige Bewegung, und sein Schnabel pickte in Herberts trübes Auge. Er schrie vor Schmerz auf, ließ den Vogel los und wankte rückwärts. Die ganze Hütte verwandelte sich im Nu in einen Wirbelwind kreischender, flatternder Körper, als die Vögel ihn von allen Seiten anflogen. Er hob die Arme, sein Gesicht zu schützen, aber sie pickten bösartig an seinen Händen, bis dünne Rinnsale von Blut daran herabliefen. Er schlug wild nach seinen Peinigern, daß ihre zerbrechlichen Körper gegen die Wände der Hütte schlugen und mehrere zu Boden fielen und nicht mehr auffliegen konnten, sondern in nutzlosen Versuchen, ihn zu erreichen, schwächlich die gebrochenen Flügel bewegten. Die anderen aber setzten ihre Angriffe fort, schlugen mit den Flügeln nach seinem Kopf, pickten, wo sie ungeschütztes Fleisch fanden und öffneten winzige Wunden in seiner Haut.
In Herberts Bewußtsein gingen Wut und Panik ineinander über, und er packte einen der gefiederten Körper und zerquetschte die feinen Knochen mit den Händen. Aber die Bewegung hatte sein Gesicht ohne Schutz gelassen, und sofort wurde es von drei Tauben angegriffen. Eine klammerte sich an seinem Kragen fest, die beiden anderen hackten nach Wangen und Augen. Er war bereits halb blind und fühlte nun einen stechenden Schmerz im anderen Auge, als er den toten Vogel fallen ließ und die Hände wieder zum Gesicht hob. Heulend vor Schmerz sprang er auf, schlug wild um sich, zerschmetterte die Vögel an den Wänden und zertrat sie mit den Füßen, als er verzweifelt zu der schmalen Tür wankte. Aber in dem Durcheinander der flatternden Körper und schlagenden Flügel, der Schnabelhiebe und seiner eigenen Flüche und Schmerzenslaute hatte er jedes Richtungsgefühl verloren und krachte gegen die Seitenwand der Hütte, daß er zu Boden fiel.
Als er benommen vom Sturz dalag, flatterten die Tauben auf seine angestrengt atmende Brust und setzten ihren vereinten Angriff fort. Er strampelte und versuchte sein Gesicht zu schützen, schluchzend vor Hilflosigkeit und Schrecken, und konnte sich in der Enge des Raumes endlich herumwälzen und die Vögel zerquetschen, die noch an ihm hafteten. Während die scharfen Schnäbel seinen Nacken und die Schultern bearbeiteten, zog er die Knie an und tastete, auf einen Arm gestützt, mit der anderen Hand umher. Seine Finger fühlten den Maschendraht an einem der Fenster, und er zog sich langsam in die Höhe, ohne die Taube zu beachten, die sich auf seinen Ärmel niedergelassen hatte und nach seinen abgeschürften Knöcheln pickte. Sein Orientierungssinn sagte ihm, wo die Tür im Verhältnis zu dem Fenster sein mußte, an dem er hing. Der Schmerz kam jetzt wellenförmig über ihn und er war fast besinnungslos vor Angst.
Laut stöhnend und am ganzen Körper zitternd, tastete er sich zu der niedrigen Tür. Seine fuchtelnde rechte Hand schlug die Fahrradlampe aus ihrer Befestigung, dann hatte er die Tür erreicht, stieß den Riegel hoch und stolperte aus dem Taubenhaus aufs Dach, blind und gepeinigt von Schmerzen, und noch immer umflattert von seinen Tauben.
Seine Frau starrte aus dem Treppenhausfenster zu ihm hinüber, die Hände am Fensterrahmen, das Gesicht weiß im Mondschein. Sie hatte das Rumoren im Taubenschlag aus ihrem Schlafzimmer gehört, sich anfangs aber nichts gedacht und es dem betrunkenen Gegröle ihres Mannes zugeschrieben. Aber bald waren ihr das Gepolter und sein wiederholtes Aufbrüllen unheimlich vorgekommen, und sie war aufgestanden, um nach dem
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