Unheil
den beiden Männern, und die Worte: »Wo hast du gesteckt?« beachtete er nicht.
Er setzte die Mündung des Karabiners einem der Soldaten an die Stirn. Dann zog er den Abzug durch.
Der Knall des Schusses und das Schreien des anderen Mannes erfüllten den Tunnel. Das Mündungsfeuer erhellte die Szene in einer starren Momentaufnahme, die noch Sekunden nach ihrem Erlöschen auf den Netzhäuten des zweiten Soldaten nachglühte.
Buswell warf seine Stablampe auf Corporal Wilcox, der mit rauchendem Karabiner dastand, den starren Blick auf den Toten gerichtet, der mit zerschmettertem Schädel langsam rückwärts kippte. Noch immer schreiend, rannte Buswell ohne sein Gewehr aus dem Tunnel. In seiner Panik versuchte er unmittelbar vor dem Tunneleingang die steile Böschung hinaufzuklettern; seine Füße glitten auf dem hohen, nassen Gras aus, seine Hände rissen Büschel davon los, als er in kopfloser Hast hochkrabbelte.
Seine Hände bekamen einen kleinen Strauch zu fassen, und wunderbarerweise hielt dieser sein Gewicht, und er kam eine Körperlänge voran. Hinter ihm ertönte das metallische Klacken des Repetiermechanismus in der kalten Nachtluft und trieb ihn noch schneller voran, denn er wußte, daß der Karabiner wieder schußbereit war.
Unter äußerster Kraftanstrengung erreichte er beinahe den Rand der Böschung.
Sein zweiter Fehler war, daß er sich umsah.
Er sah die stumme Gestalt am Fuß der Böschung bei den Schienen stehen und zu ihm aufblicken, ohne sich zu bewegen, ohne auch nur das Gewehr zu heben.
Als Buswell sich mit einem Aufschluchzen wieder herumwarf, um mit letzter Energie den rettenden Böschungsrand zu erreichen, verloren seine Füße den Halt, er geriet ins Rutschen, und seine Hand griff nach dem erstbesten Grasbüschel und riß ihn samt den Wurzeln aus. Nun glitt ihm das nasse Gras durch die krallenden Finger, ohne ihnen Halt zu bieten, und weder seine Stiefel noch der flach ausgestreckte Körper konnte seine Abwärtsbewegung bremsen.
Langsam glitt er die Böschung wieder herab, bis er in halb liegender, halb kniender Haltung unten ankam. Der Corporal stand über ihm und hob den Gewehrkolben.
Der Nebel floß aus der Tunnelöffnung, zerfasert und zögernd zuerst, bald aber rasch und in dichten Schwaden. Er umwallte die beiden Soldaten und hatte sie in kürzester Zeit eingehüllt.
18
Als Holman erwachte, benötigte er einige Sekunden, um sich zurechtzufinden. Er starrte zur Decke auf und ließ seinen Gedanken Zeit, sich zu sammeln und zur Ruhe zu kommen, wandte sich dann der Gestalt zu, die neben ihm in seinem Bett lag. Im grauen Dämmerlicht, das durch die zugezogenen Vorhänge sickerte, sah sie aus wie immer, ruhig und kaum berührt vom Leben, aber er wußte, daß das harte Tageslicht die ersten feinen Linien in ihrem glatten Gesicht zeigen würde, denn die Erlebnisse der letzten Tage konnten nicht spurlos an ihr vorübergegangen sein. Und die Wunde, die in ihr zurückblieb, würde sehr viel schlimmer sein als jede körperliche, bald vernarbende Verletzung.
Welch ein Unterschied zum letztenmal, als sie in seiner Wohnung gewesen war! Würde er jemals den zerrütteten haßerfüllten Ausdruck ihres Gesichts vergessen, die tückische Gewalttätigkeit ihres Angriffs? Würde er nicht immer auf die Wiederkehr dieses Ausdrucks warten, unfähig, sein Gedächtnis den Visionen der Vergangenheit zu verschließen, in immerwährender Furcht, daß die Krankheit nur zum Stillstand gebracht worden sei und tief in den Verästelungen ihres Gehirns schlummere, auf den Augenblick warte, daß sie ihr parasitäres, zerstörerisches Werk von neuem beginnen könne?
Zwar hatte Janet Halstead ihm versichert, daß Casey geheilt sei, genauso wie er selbst, und daß die bösartige Krankheit nicht wieder zum Ausbruch kommen werde, aber es fiel ihm schwer, daran zu glauben. Und angesichts des Umstandes, daß es so gut wie keine Erfahrungen mit Verhalten und Verlauf dieser Krankheit gab, mußte Janet Halsteads Versicherung reichlich optimistisch erscheinen. Nur die Zeit konnte Gewißheit bringen.
Er war dankbar, daß die Amtsärztin ihm schließlich erlaubt hatte, Casey mit nach Haus zu nehmen. Obwohl alle Untersuchungen abgeschlossen waren, an ihm selbst wie an dem Mädchen, und ihre Anwesenheit nicht mehr unbedingt erforderlich war, hätte sie darauf bestehen können, daß sie beide im Forschungszentrum blieben, falls sich doch noch Komplikationen einstellen würden. Doch unter der Voraussetzung, daß sie sich
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