Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
Joes Körper.
Raphael im Osten war eine riesige Engelsfigur mit einer Robe aus schimmerndem Licht, die von einer sanften Brise getragen wurde, welche ihn von hinten anwehte. Gabriel im Westen war blau gekleidet. Er hielt einen Kelch mit Wasser nach oben und stand in einem Strom aus klarem Wasser, welches von einem Wasserfall hinter ihm kam. Im Süden stand Michael, bei dem die vorherrschende Farbe ein flammendes Rot war, unterbrochen von lebhaften, smaragdgrünen Blitzen. In der Hand hielt er ein stählernes Schwert, dessen Spitze nach oben gerichtet war. Flammenzungen leckten auf der Erde zu seinen Füßen und eine intensive Hitze umgab ihn. Uriel im Norden trug eine Mischung aus zitrone, braunrot und schwarz. Er stand auf einem sehr fruchtbaren Boden. Gras und Weizen wuchsen über seine Füße und in seinen Händen hielt er Korngarben. Alle lächelten sie und Joe überkam ein jäher Schauer von Ehrfurcht. Er kam sich klein und hilflos vor inmitten der Engel und schloss die Augen. Das Ritual musste zu Ende gebracht werden. Joe berührte noch einmal Stirn, Brust und Schultern. Dann faltete er die Hände und sprach dabei erneut die Worte:
„Ateh Malkuth va Geburah va Gedulah le Olahm, Amen!“
Ein Beben erschütterte die Erde und Staub rieselte von der Decke. Es ertönte ein Grollen, wie Wasser unter einem Berg. Die Engel verschwanden flackernd und um Joe herum entzündete sich ein Kreis aus Flammen. Sie züngelten bis an die Decke und er spürte auf seiner Brust und an seinem Rücken einen kurzen, stechenden Schmerz. Er wusste, das Ritual war gelungen und sein Körper mit den beiden Siegeln gebrandmarkt. Auf seiner Brust prangte ein verkohltes und rauchendes Pentagramm. Zwischen seinen Schulterblättern befand sich ein Hexagramm, dessen aufsteigendes Dreieck blau und das absteigende rot glühten. Kaum ließ der Schmerz nach, verschwanden die Flammen und hinterließen um Joe nur einen Ring aus schwelender Asche.
Kyra konnte nicht schlafen. Obwohl die dicken Vorhänge ihres Zimmerfensters fest zugezogen waren und kaum Licht hinein ließen, brachte sie kein Auge zu und starrte zum Baldachin des Himmelbettes hinauf. Die Hände waren unter ihrem Kopf gefaltet, die Füße übereinander gelegt und sie wippte mit dem großen Zeh. Sie hatte sich gewaschen und umgezogen und trug nun ein schlichtes schwarzes Shirt und eine dunkle Baumwollhose, die ihr bis knapp unter die Knie reichte. Das Zimmer war nicht ungemütlich. Sie hatte ihr eigenes Bad mit verchromten Armaturen und einer schönen antiken Badewanne mit Füßen aus Löwenpranken. Das Zimmer war gut fünfzig Quadratmeter groß und stilvoll eingerichtet. Ganz links stand ihr Bett, daneben ein Nachtschrank. Ein riesiger Kleiderschrank befand sich an der Wand zwischen den beiden Fenstern. Außerdem gab es einen Schreibtisch und einen mannshohen Spiegel direkt neben der Türe. Die Decke war mit einem überwältigend schönen Fresko bemalt, auf dem viele kleine Engelskinder, aber auch einige Dämonen abgebildet waren. An jeder Wand befand sich eine Lampe. Bei allen konnte man per Knopfdruck sogar die Helligkeit dimmen. Kyra fühlte sich wohl hier. Von ihren Fenstern aus konnte sie in den Hof sehen, um den alle vier Häuserflügel gebaut waren. Sie vermutete dass er eine Art Trainingsplatz sein musste, denn an den Mauern lehnten in geflochtenen Weidenkörben mehrere Waffen und der steinerne Boden war von Rissen und Dellen durchzogen. Ab und zu wuchs zwischen den Spalten ein kleines Grasbüschel hervor.
Im Zimmer war es dunkel. Kyra hatte sich nicht die Mühe gemacht die Lampen anzuschalten. Ihr war wohler wenn es dunkel um sie herum war. In ihrem Kopf hämmerte es. Sie konnte sich nur schwer konzentrieren. Ihr Leben schien ihr verpfuscht, weggeworfen. Es machte sie wütend, dass fremde Personen darüber entschieden, wohin sie zu gehen hatte. Nie wurde sie nach ihrer Meinung gefragt. Niemand nahm auf ihre Wünsche Rücksicht.
„Es ist eines unserer größten Zimmer“, hatte Alexander zu ihr gesagt. „Ich hoffe, dass du dich hier wohl fühlst.“
Kyra lächelte als sie daran dachte, wie sehr sie sich als Kind ein Himmelbett gewünscht hatte. Sie grub sich tiefer in die pastellrosa Bettwäsche. Ihre Eltern hatten ihr nie ein Himmelbett kaufen wollen.
„Sonst müssen wir deiner Schwester auch eins kaufen und das können wir uns beim besten Willen nicht leisten.“
Ihre
Weitere Kostenlose Bücher