Unheiliger Engel (German Edition)
zum Atmen, um klar denken und sich regenerieren zu können. Mit seinem beträchtlichen Alkoho l pegel hätte er sowieso nicht mehr fahren dürfen, seinen Fahrer Nikopol hatte er bereits weggeschickt und sein Büro lag ganz in der Nähe. Das war sehr praktisch für einen Nachtschwä r mer, der morgens wieder früh im Büro sein musste und wenig Zeit verlieren mochte, obwohl er über unendlich viel ve r fügte.
Kurz schweiften seine Gedanken zu der schlafenden Kle i nen auf dem Bett, zu ihrer Nacht und wilden Vereinigung, zuletzt zu ihrem goldenen Haar, das sich wie ein Schleier über ihre nackte Haut gelegt hatte. Er dachte an sein ach so kaltes Herz und die Ahnung, dass er wohl niemals so tief und i n tensiv fühlen konnte, wie es die normalen Menschen ve r mochten. So etwas wie Hoffnungslosigkeit, nur beklemmender und verstörender hatte sich in ihm breitgemacht, aber vie l leicht war es auch nur pures Selbstmitleid. Fühlte er Ei n samkeit? Auch das.
Stolpernd, müde und niedergeschlagen hatte er schließlich seine zerstreute Kleidung z u sammengesucht und war aus dieser schönen Altstadtwohnung und dem Nest der lockenden Gottesanbeterin auf die Straße geflohen. Ei n fach nur weg . D ie frische Luft in seinen Lungen hatte gut getan. Alles war gut, be i nahe. Warum auch immer, er hatte sich be o bachtet gefühlt in dieser Nacht, als er durch die ausgestorbenen Straßen der schlafenden Stadt gega n gen war. Zum Glück hatte sich der Regen verzogen, aber die Kälte war de n noch durch seine für einen Spaziergang ungeeignete Kleidung gezogen. Er hatte sich mehrfach umg e schaut, war stehen geblieben und hatte gelauscht, doch trotz seines deutlich g e steigerten Wahrnehmungsvermögens hatte er nichts und ni e manden ausmachen können, der ihn verfolgte oder ihm auflauern wollte. Er war allein auf der Straße und seine leisen Schritte verhallten anscheinend ungehört. Irgendwann war er in ein vorbe i fahrendes Taxi gestiegen und hatte dem türkischen Fahrer halbwegs ve r ständlich seine Adresse g enannt, die glücklicherweise weit weg von dem Ort der Liebe s freuden und am anderen Ende Hamburgs lag.
Die Fahrt durch die nächtliche Stadt hatte ihm dennoch geholfen, seine G e danken zu ordnen, den Abschied innerlich zu komplettieren und sich aufzuwä r men. Als er en d lich in seinem Penthouse angekommen war, hatte er auf der vor Wind und Regen geschüt z ten Dachterrasse wie so oft noch ein paar Whisky zu sich genommen. Er hatte sich betru n ken, um die eingetretene Ernüchterung gegen Rausch und Vergessen einzutauschen und irgen d wann ein wenig schlafen zu können. Der Alkohol wirkte bis jetzt nach. Er sollte zukünftig kürzertreten und sein ausschweifendes Leben kontrollierter gestalten, schon allein de s u n schönen Tag es danach wegen. Selbst er würde dieses enorme Tempo nicht ewig durchha l ten.
Sergej war noch immer übel, als er sich schwerfällig aus seinem übergroßen, a n tiken Bett erhob, auf dem glatten Holzparkett beinahe ausrutschte und auf uns i cheren Beinen ins Bad schwankte. Zumindest konnte er sich nicht b e schweren, dass die Putzfrau das teure Pa r kett nicht ordentlich polier t e. Ein Blick in den ovalen, barocken Spiegel machte aus seiner Vermutung Gewis s heit. Teufel, er sah heute alt aus, doch nicht annähernd so alt, wie er wir k lich war. Tiefe Schatten lagen unter den schwermütigen, grünen Augen und seine rabenschwarzen Haare waren ze r zaust, es lagen weder Glanz noch Klarheit in seinem Blick. Er hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn, ließ das kalte Wasser über Haare und G e sicht laufen und beobachtete, wie es gurgelnd im Becken ve r schwand. Danach putzte er sich die Zähne und unterdrückte e i nen leichten Würgreiz. Vielleicht sollte er kalt duschen oder sich zur Entspannung in die Whirlwanne legen, aber im Moment war ihm nicht danach. Allg e meine Unlust und Tristesse hatten sich in ihm breitgemacht und würden wohl auch nicht so ei n fach zu vertreiben sein.
Missmutig schwankte er schließlich aus dem kunstvoll marmorierten Bad, durch den g emäldegesäumten Flur Richtung Küche. Ganz im überwiegenden Stil der Wohnung handelte es sich bei den Gemä l den nicht um moderne Kunst, sondern Barock mit wertvollen Originalen von Rembrandt, Rubens sowie Car a vaggio. Erkennbar war dieser barocke Stil vor allem an den verschnö r kelten und überladenen Werken. Die Vergänglichkeit der Dinge, der Wandel des Daseins und die Scheinhaftigkeit der Welt waren die Hauptthemen des
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