Unheiliger Engel (German Edition)
Barocks und b e liebt waren vor allem Motive aus dem Theater und dramatische Han d lungen gewesen. Er blickte kurz auf die prächtigen Werke und ein Funke Freude und Stolz zündete in seiner Seele, der jedoch schnell wi e der erlosch. Im Schlafzimmer hatte er ein anderes Gemälde gewählt, eine russische Landschaft von Isaak Lewitan, der viel zu jung mit nur vierzig Jahren ve r storben war. Es erinnerte Sergej an die Zeit , als er in den weiten Steppen Rus s land gelebt hatte . V iele, sehr viele Jahre waren seit d iesen Tagen ins Land gega n gen.
Während er den Blick wieder gesenkt hielt, hinterließ er Wassertropfen auf dem Boden, bis er in der Küche anlangte. Im Gegensatz zur restlichen Einric h tung war di e Küche mit frei stehendem Kochbereich offen gestaltet, kühl, edel und modern ausgestattet. Es herrsch t en klare Strukturen, keine Schnörkel und kein Hightech störten , und sie war eigen t lich ein Fremdkörper in seiner großen Wohnung, der nicht zum Rest passen wollte. So wie er nicht in diese Welt. Mit schon wieder zitternden Fingern nahm Sergej eine Flasche S. Pe l legrino aus d em amerikanischen Kühlschrank . Mit halb g e schlossenen Augen schaffte er es gerade bis zum Bett, ließ sich in die Kissen fallen und dämmerte lustlos vor sich hin. An diesem Tag würde er nichts unterne h men, auch nichts mehr essen und starrte lieber auf den opulenten und kunstvoll geschwung e nen Baldachin über ihm. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, a bend s einen kle i nen Gang in d ie Stadt zu unternehmen. Fluchten nannte er seine Ausflüge in die weniger elitären Teile der Stadt, bei denen er sich am liebsten unter das ei n fache Volk mischte und sich ganz normal und frei geben konnte. In dieser Szene wusste ni e mand, wer oder was er war und er genoss die puristische Einfachheit. Auch wenn Luxus ang e nehm war, er konnte auch ohne ihn Leben und fühlte sich danach wieder gee r det. Aus dem Augenwinkel bemerkte er irgendwann, dass der Anru f beantworter blinkte .
„Nachricht Nummer eins“, erklang die blecherne Stimme. „Hallo Mr. Unz u verlässig , geh ans Telefon, wenn du mich hörst.“
Der gute alte Tom, wer auch sonst. Kaum jemand besaß seine Privatnu m mer und keinem anderen schenkte er sein beinahe uneingeschränktes Ve r trauen.
„Sergej? Lebst du noch? Wir haben heute Mittag auf dich gewartet, du weißt doch, dass Madd ie etwas Besonderes vo r bereitet hatte. Melde dich endlich, ich mach mir So r gen um dich.“
Immer machte er sich Sorgen, dieser gottverdammte Wel t verbesserer und diese gute Seele. Er erstickte ihn manchmal mit seiner Fürsorge, Zuneigung und mit seinen permanenten Versuchen, das Gute in ihm zum Vorschein zu bringen. Andererseits konnte ein Mann wie er sich kaum einen besseren und uneigennützigeren Freund vorstellen. Trotz allem hielt er zu ihm und sah vie l leicht als Einziger den guten Kern in di e sem alkoholgetränkten, uralten und nur nach außen hin a n sehnlichen Körper. Vielleicht würde er es nicht tun, wenn er wüsste, wer Sergej wirklich war oder viel mehr , was er war. Doch konkret wus s te Sergej das selb st nicht. Irgendwann war er da gewesen und das war eine sehr, sehr lange Zeit her. In dieser langen Lebenszeit hatte er sich ein umfangreiches Wi s sen angeeignet, Reichtum und Besitz stetig gemehrt und a k zeptiert, dass er anders war, nicht einmal etwas über seine Eltern oder seine Familie wusste und dass Andersartigkeit Ausgrenzung bede u tete.
Er hatte gelernt, mit seinem seltsamen Schicksal umzugehen und sich zu ta r nen, sich zu verbergen und war meisterlich in diesen Dingen geworden. Dabei war ihm b e wusst, dass ihn viele Menschen für chte te n, hassten und zum Teufel wünschten. Das waren Tatsachen, die ihn manchmal mit Selbstgefä l ligkeit und Genugtuung erfüllten, denn alles, was er war und b e saß, hatte er sich dennoch hart erarbeitet. Auch diesen unverhohlenen Hass und die Ablehnung. Sein woh l klingender Name Sergej Nikolaj Kasamarov stand für einen Mann, der b e kam, was er wollte und der es sich nahm, wenn es ihm nicht gegeben wurde. Er war ein schwerreicher Geschäftsmann, Kunstsammler, ehemaliger Kunstflieger, I n haber einer Firmengruppe mit unterschie d lichsten Ausrichtungen und weltweiten Niederlassungen, über dessen Vermögen nur sp e kuliert werden konnte und dem Verbindungen zur russ i schen Mafia nachgesagt wurden. Arrogant, unnahbar und skrupe l los, und damit gefährlich.
So sahen sie ihn und das nicht ganz zu U nrecht.
Weitere Kostenlose Bücher