Unheiliger Engel (German Edition)
dieser Wunsch auch nur blanker Egoismus oder ein Anfall von Wahnsinn und me n taler Konfusion. Er betrachtete seine Situation erneut akribisch aus anderen Perspektiven, beleuchtete sie unter neuen A n sätzen und überdachte eine schwierige, wenn auch akzeptable Möglichkeit, noch lä n ger in seinem Leben zu verweilen mit der Sicherheit, bei einem Scheitern seine e i gentlichen Pläne aufgreifen zu können, also auf dem Papier zu sterben. Sergej musste seine geliebte Freiheit aufgeben und ins Gefängnis gehen . D as für una b sehbare Zeit. So hätte Anna keine unmi t telbare Zugriffsmöglichkeit auf ihn und würde gezwungen sein, andere Wege als g e plant zu beschreiten , wenn sie an ihn und den unseligen Ring heranko m men wollte. Wenn sie Sergej besitzen wollte, müsste sie ihn befreien, wie auch immer sie das anstellen würde. Sie war sicher davon ausg e gangen, dass er sich niemals in die Hände der Justiz, d er Menschen beg e ben und sich ihnen beugen würde. Alles war für sie nur ein Spiel, das schon früher die Menschen ausgeschlossen hatte. D ie Schwachen und Sterblichen w a ren für Anna bestenfalls Mittel zum Zweck. Letztlich war ihr glückl i cherweise seine Gabe der Teleportation verborgen geblieben, das zumindest hoffte er . Sie durfte also nicht davon ausgehen, dass er sich aus dem Gefängnis befreien kon n te. Und vielleicht wü r de dieser Schritt auch bedeuten, dass er seine Unschuld doch noch beweisen konnte und sein Name, sein Lebenswerk und sein Umfeld nicht mit Makeln behaftet sein würden. Es wäre ein halbwegs ehrenvoller A b gang und keine Flucht bei Nacht und N e bel. Die Häme seiner Gegner oder der Klatsch in der Presse waren ihm egal, denn Klatschnachrichten kamen, gi n gen , und gerieten irgen d wann in Vergessenheit. Allein der Gedanke an eine enge Zelle und Gitterstäbe löste Beklemmungen aus. D ie Gefangenschaft zu ertragen, o b wohl er nicht musste und mit Leichtigkeit fliehen konnte. Aber um welchen Preis? War sein Umfeld wirklich sicher, wenn er sich aus diesem Leben vera b schiedete? Anna war kaum einschät z bar und so oder so ein Risikofaktor.
Er grübelte bis zum Morgengrauen, bis sein Fahrer Nikopol wieder zurück war und ihm mitteilte, dass er die Dame sicher z u rückgebracht hatte. Sergej schickte ihn schlafen, trat vor die Tür und atmete die kalte Morgenluft ein. Der Schneefall hatte aufgehört, alles war rein und friedlich.
Dann traf er seine Entscheidung.
Was das für ihn bedeutete, erfuhr er genau sieben T a ge später, als Reuter und sein Kollege Hediger wieder die Ehre hatten, Sergej auf Staatskosten zu chauffi e ren. Sergej musste ihnen den temporären Sieg gönnen und ihre selbstzufriedenen Gesichter ertragen. Für den M o ment machte er gute Miene zu diesem Spiel, das sich hoffentlich in den nächsten Wochen zu seinen Gunsten neigen würde . Bis sich irgendwann die Zellentüre hinter ihm schloss. Es war mittlerweile Sonntag , 0 0: 05 Uhr , und Sergej saß als potenzieller Mörder gebrandmarkt in der Justiza n stalt in Untersuchungshaft, um eine mögliche Flucht oder Verschleierung aus z u schließen. Die Untersuchungshaftanstalt Ha m burg, im Hamburger Justizvollzug auch Die Mutteranstalt , bzw. bei den Gefangenen kurz Dammtor genannt, b e fand sich in der Holstenglacis 3. Jährlich wurden hier etwa 12.000 Gefangene aufg e nommen und einer von ihnen war nun Sergej. Das Wochenende hatte er sich anders vorgestellt und er hatte Mühe, seinen Zorn zu bezähmen . Die UHA die n te als Untersuchungsgefängnis, Polizeigefängnis, Anstalt für Zivilhaft, Vorfü h rungsabteilung zu Gerichtsverhandlungen und Transportabteilung. A u ßerdem verfügte sie über ein Krankenhaus, was man ihm mit einem süffisa n ten Hinweis auf seinen noch angegriffenen Gesundheitszustand mitteilte. Das Gebäude hatte weiterhin unterirdische Verbindungsgänge, durch die das Strafjustizgebäude e r reichbar war. Die freundlich gesagt antiquarische Einrichtung wurde im 19. Jah r hundert errichtet, später mehrfach ausgebaut und erweitert. Sie diente auch als Hinrichtungsstätte bis zum Jahre 1945 und dieser morbide Charme war aus den kalten Mauern bis heute nicht gew i chen. Sergej würde sich nicht wundern, wenn die Geister ungerechtfertigt Enthaupteter nächtlich we h klagend durch die stillen, feuchten Gänge zogen. Hediger würde sicherlich b e dauern, dass diese Zeit en bereits abgela u fen waren und er nicht gleich unter dem Fallbeil endete. Nachdem Sergej seinen Reisepass und
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