Unheilvolle Minuten (German Edition)
ein Mann namens Stoddard geprägt hatte, ein Freund von Janes Vater, der Chef der Arbeitstruppe. Er murmelte dieses Wort immer wieder vor sich hin, während er Anweisungen für die Reparaturen gab und beim Schrubben, Anstreichen und Erneuern mit Hand anlegte.
Innerhalb einer Woche befand sich das Haus wieder in einem Zustand, der als normal gelten konnte. Alles war hell und neu. Die alte Tapete war aus Janes Zimmer entfernt worden, und sie hatte sich entschlossen, die Wände streichen zu lassen. Dazu wählte sie Weiß anstatt ihrer Lieblingsfarbe Blau. Blau war ihr für immer verleidet und in gewisser Weise galt das auch für Rosa. Für ihre Poster besorgte sie keinen Ersatz, sondern ließ die Wände leer, unberührt, rein. Sie war sich nicht ganz sicher, ob rein das richtige Wort war, aber irgendwie traf es auf ihr Zimmer zu.
Nachdem die Arbeiter gegangen waren, hing der Geruch nach Farbe in der Luft, zusammen mit anderen Gerüchen, die Jane nicht bestimmen konnte, wahrscheinlich Terpentin oder das flüssige Wachs auf dem Fußboden. Aber da war noch etwas anderes.
»Der Geruch des Neuen«, sagte ihre Mutter, sog schnuppernd die Luft ein und sprach mit heller, munterer Stimme.
»Stimmt«, sagte Jane. Sie zwang sich ebenfalls zu einem munteren Tonfall und fragte sich, ob auch ihre Mutter Theater spielte. Ob auch ihre Mutter diesen anderen Geruch bemerkte, den Geruch, der sich beharrlich hielt, hinter all den neuen Gerüchen lauerte und einem bei bestimmten Gelegenheiten in die Nase stieg. Sie spürte diesen Geruch, wenn sie in ihr Zimmer kam. Es roch besudelt, kaum wahrnehmbar, und sie musste stehen bleiben und mit gerümpfter Nase vorsichtig schnuppern. Der Geruch von Verdorbenem und Verwestem, ein Gestank, der unter der Oberfläche lag, mit einem Hauch von Erbrochenem und von Dingen, die schlecht geworden waren. Schwach, ja, aber unverkennbar. Nicht immer da; der Geruch kam und ging, manchmal schwer definierbar, aber dann wieder stark, überwältigend. Sie vermied es, die Stelle an der Tür anzusehen, wo sie auf die Lache mit Erbrochenem gestoßen war.
Zu ihrem Erstaunen – und Entsetzen – begann sie diesen schwer definierbaren Geruch auch an anderen Orten zu bemerken. Er wehte ihr im Schulbus in die Nase, auf dem Weg vor dem Einkaufszentrum, und einmal im Klassenzimmer hatte es danach stärker gerochen als nach Tafelkreide. Dann schnupperte sie vorsichtig, und manchmal löste sich der Geruch auf, verschwand sofort oder hing noch eine Weile in der Luft, quälte sie auf schreckliche Weise. Sie geriet fast ein wenig in Panik und fragte sich, ob der Gestank von ihr selbst kam, von ihrem Körper produziert wurde, entstanden aus ihrem Entsetzen über das Geschehene. Sie begann sich mit Duftwässern zu überschütten, rieb sich mit Cremes und Salben ein, suchte sich das stärkste Deodorant, um sich damit die Achselhöhlen auszureiben. Sie hielt Abstand zu anderen Menschen, ließ niemanden zu nahe an sich heran, beugte sich unbehaglich vor, wenn sie ihren Eltern den Gutenachtkuss gab. Manchmal ertappte sie ihre Mutter dabei, wie sie ihr einen seltsamen Blick zuwarf. Dann wandte sie sich schnell ab, ging aus dem Zimmer oder fing wie verrückt an zu plappern. Und manchmal ertappte sie ihre Mutter mit einem Gesicht, das tief in Gedanken oder Trauer versunken war, und dann wäre sie am liebsten auf sie zugegangen, hätte laut aufgeschrien, sie berührt oder sich in ihre Arme geworfen. Aber das ging nicht, ging nicht. Sie hielt sich immer zurück.
Und die ganze Zeit über schlief Karen.
Es war nicht nur dieser üble Geruch, dieser schreckliche Gestank. Das ganze Haus wurde für Jane zur Plage. Sie begann es zu fliehen, suchte nach Gründen, nicht dort sein zu müssen. Nach ihren Besuchen im Krankenhaus fuhr sie manchmal mit dem Bus in die Innenstadt von Wickburg und lief im Einkaufszentrum herum, schlug die Zeit tot, ging von einem Laden in den anderen, probierte Jacken und Röcke an, trank ein 7-Up. Sie hielt sich in den Geschäften nicht allzu lange auf und lungerte auch nicht auf den Plastikbänken am Springbrunnen herum, wollte nicht den Anschein erwecken, eine Herumtreiberin zu sein, obdachlos. Zu Hause zog sie sich rasch um und brach zu einem Streifzug durch die Umgebung auf, oder sie blieb einfach hinten im Garten. Sie suchte keinen Kontakt zu den anderen Mädchen in der Straße, war nicht in Stimmung für höfliche Konversation oder Gespräche über Kleidung und Make-up oder Film und Fernsehen. Sie wäre
Weitere Kostenlose Bücher