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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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den Decken und Laken. Klopfte das Kissen auf. Fand keine bequeme Lage. Dachte an den Gesichtsausdruck ihres Vaters. Diesen Zorn unter der Oberfläche. Die Hilflosigkeit, die in dem verkrampften Kiefer lag. Wenn ich sie nur in die Finger bekäme …
    Plötzlich hatte sie Angst um ihren Vater.
    Und fast hoffte sie, dass man die Täter nie finden würde.
    Buddy griff in den Haufen aus Lappen und Lumpen, suchte nach der vertrauten Papiertüte mit der Flasche darin. Fühlte – nichts. Tastete sich weiter vor, nach links und rechts, leicht verwirrt, aber nicht ernsthaft besorgt. Mit gefurchter Stirn räumte er die Ansammlung von Lappen, Werkzeugen und alten Farbdosen von der Werkbank und stellte alles auf dem Boden ab. Immer noch nichts da. Er sah unter der Werkbank nach, suchte den Fußboden ab. Schaute sogar in den alten Papierkorb aus Blech, der neben der Werkbank stand, und auf das Hängeregal darüber. Keine Tüte und keine Flasche.
    Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an die Wand. Sein Atem ging schwer und auf seiner Stirn perlte der Schweiß. Er hatte davon gehört, dass Alkohol in schlimmen Fällen zu einem Filmriss führen kann. Hatte er einen Filmriss gehabt und konnte sich nicht mehr erinnern, wo er die Flasche hingetan hatte? Lächerlich. Nach einer wilden Nacht war seine Erinnerung manchmal etwas verschwommen, aber er hatte noch nie einen totalen Blackout gehabt.
    »Suchst du das hier?«
    Er wandte sich um und sah Addy im Türrahmen stehen, die Flasche in der Hand, mit gerümpfter Nase, als strömte der Alkohol einen üblen Geruch aus.
    »Was zum Teufel bildest du dir eigentlich ein?«, fragte Buddy und unterdrückte den Impuls, ihr die Flasche aus der Hand zu reißen.
    »Ich versuche, dir das Leben zu retten.«
    »Rette dein eigenes Leben«, sagte er und ging auf sie zu, griff nach der Flasche.
    Sie wich zurück, hielt die Flasche von ihm weg.
    » Mein Leben ist nicht in Gefahr«, sagte sie. »Ich bin nicht gefährdet, Alkoholikerin zu werden.«
    Buddy schüttelte angewidert den Kopf. »Hör mal, ich kann an jede Menge Flaschen rankommen«, sagte er. »Meinetwegen behalt das gottverdammte Ding. Genehmige dir selbst mal ein paar Gläschen. Vielleicht macht dich das etwas menschlicher.«
    »Und du glaubst, das bewirkt der Alkohol? Macht dich menschlicher? Ich will dir mal was sagen, Buddy. Er bewirkt genau das Gegenteil. Macht dich zum Ungeheuer. Zu einem dämlichen Monster. Hast du schon mal in den Spiegel gesehen, wenn du sinnlos betrunken bist? Du solltest dich mal sehen. Dieser blöde Gesichtsausdruck, als wärst du schwachsinnig. Und du solltest dich mal beim Abendessen sehen. Dieses dämliche Grinsen. Mom will sich das nicht eingestehen. Sie ist von ihren eigenen Problemen so in Anspruch genommen, dass sie überhaupt nichts mehr wahrnimmt, nicht mal, wie blöde du aussiehst und dich benimmst.«
    Dämlich, blöde. Kannte sie keine anderen Wörter?
    »Und du glaubst, du kannst mich davon abhalten, blöde und dämlich zu sein, indem du mir meine Flaschen wegnimmst?«
    »Jetzt bist du schon in nüchternem Zustand dämlich und blöde. Schlimm genug in betrunkenem Zustand, aber völlig lächerlich, wenn du nüchtern bist. Zumindest nehme ich an, dass du nüchtern bist. Und – nein, ich glaube nicht, dass es dich vom Trinken abhält, wenn ich dir die Flasche wegnehme.«
    »Und was soll das dann?«
    »Ich versuche nur, deine Aufmerksamkeit zu erlangen.«
    »Wozu brauchst du meine Aufmerksamkeit? Ich brauche deine nicht. Will sie nicht.«
    »Weil …« Sie geriet ins Stammeln. Sah mit der Flasche in der Hand völlig absurd aus.
    »Weil was?« Herausfordernd. Okay, da bin ich, du hast meine Aufmerksamkeit. Jetzt sag, wozu du sie brauchst.
    »Weil wir reden müssen. Ich halte das nicht mehr aus. Mom in ihrem Dauerzustand von Benommenheit, läuft wie eine Schlafwandlerin durch die Gegend. Du bist meistens betrunken. Und Vater ist da draußen mit dieser Frau, diesem Mädchen .«
    »Na, und was sollen wir dagegen tun?«, fragte er, ohne echtes Interesse, denn sie konnten ohnehin nichts tun. Er beschloss, ihr das zu sagen: »Wir können ohnehin nichts tun.«
    Sie holte Schwung, als wollte sie einen Football werfen. Die Flasche knallte gegen die Wand und zerschellte in tausend Stücke. Der Flaschenhals flog davon, während die restlichen Scherben zusammen mit der kostbaren Flüssigkeit zu Boden fielen.
    »Himmel«, sagte er.
    »Siehst du? Man kann immer etwas tun.«
    »Und du meinst, du benimmst dich wie ein

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