Unheilvolle Minuten (German Edition)
Erinnerung.
»Vielleicht«, sagte Addy, »sollten wir uns einen Plan zurechtlegen.«
»Was für einen Plan?« Er sprach geistesabwesend, starrte immer noch in den Garten hinaus.
»Einen Plan, um diesen Wahnsinn zwischen Mom und Dad zu beenden. Vielleicht können wir etwas unternehmen, damit sie wieder zusammenkommen. Wenigstens für ein Gespräch …« Sie stürzte sich ins Pläneschmieden, entwickelte mehrere Vorgehensweisen. Ein Treffen der beiden auf »neutralem Boden« herbeiführen, zum Beispiel in einem Restaurant. An die Frau herantreten, dieses Mädchen , wie Addy sie stets voller Verachtung bezeichnete, und versuchen, sie zur Vernunft zu bringen. »Wenn sie uns sieht, seinen Sohn und seine Tochter, dann sieht sie vielleicht ihn in einem anderen Licht.«
All das war natürlich nicht durchführbar. Das versuchte er ihr zu sagen, ohne sie dabei zu kränken und ohne diese plötzliche Vertraulichkeit zwischen ihnen zu zerschlagen. »Addy, das sind Träumereien. Hört sich wunderbar an, aber ich glaube nicht, dass so etwas klappen kann. Diese Frau, das Mädchen – ich gehe jede Wette ein, dass sie uns schon gesehen hat und weiß, wer wir sind. Und Mom und Dad zusammenbringen – meinst du wirklich, dass das gut gehen würde? Das alles hat sich nicht über Nacht ergeben. Wer weiß, wann es angefangen hat? Vielleicht hatten Mom und Dad sich schon lange auseinandergelebt, als diese Frau daherkam …«
»Vielleicht könnten wir sie verklagen«, sagte Addy. Sie sprach energisch und munter, mit jener Art von Munterkeit, die noch einmal aufblitzt, bevor es zu Tränen kommt.
Sie lachten beide, ein bitteres Lachen, das hohl durch Addys Zimmer klang. Und als sie einander ansahen, merkte Buddy, dass sie zumindest etwas erreicht hatten, ein gewisses Band zwischen ihnen, nicht gerade Freundschaft, aber so eine Art Bündnis.
»Weißt du, was wir sind?«, fragte Addy mit kläglicher Stimme.
»Was denn?«, fragte Buddy vorsichtig. Dieser neuen Addy gegenüber war er unsicher, wusste mit ihr nicht umzugehen.
»Opfer. Die Opfer von Kindesmisshandlung.«
»Warte mal«, sagte er. »Mom und Dad haben uns nie geschlagen.« Er runzelte die Stirn, war plötzlich völlig entgeistert. »Ist dir etwas passiert? Hat Dad dich …?«
»So hab ich das nicht gemeint«, sagte sie spöttisch, und einen Augenblick lang war sie wieder die alte Addy, seine Schwester, die eine wahre Landplage war. »Kein sexueller Missbrauch oder körperliche Misshandlung. Aber auf andere Weise genauso schlimm. Scheidung. Der Zerfall einer Familie. Mütter und Väter, die ganz egoistisch nur an sich selbst denken und ihre Kinder ignorieren …«
»Sie haben uns nicht ignoriert«, sagte Buddy und wusste selbst nicht so recht, warum er seine Eltern verteidigte. »Mom ist hier. Dad bleibt mit uns in Verbindung.« Jede Woche ein Scheck über fünfundzwanzig Dollar.
»Ein solches Ignorieren meine ich nicht. Ich meine, dass sie die Kränkungen ignorieren, den Schmerz, die unsichtbaren Dinge, die Kindern widerfahren. So wie das, was mit uns passiert.«
Buddy hasste Streit und Auseinandersetzungen, mochte von seinen Gefühlen nicht reden. Als ob Gefühle verschwinden würden oder von vornherein gar nicht vorhanden wären, wenn man sie nicht in Worte fasste! Er sagte nichts dazu. War darauf aus, das Gespräch zu beenden, wollte hier weg.
»Weißt du, Buddy, wie ich damals vom Baum gefallen bin? Ich war neun und habe nicht geweint, obwohl ich mir den Arm gebrochen hatte. Es hat höllisch wehgetan, aber ich hab nicht geweint. Aber seit Dad ausgezogen ist, habe ich schon dreimal geweint. Mitten in der Nacht ins Kopfkissen geheult.«
Tränen stiegen ihr in die Augen und sie wandte sich ab, schlug die Hände zusammen, wie es der Werfer macht, bevor er den Ball zum Schlagmann schleudert. Seine kleine Schwester als jämmerliche Parodie eines Baseballspielers, und das alles nur, weil sie ihre Tränen verbergen wollte.
»Ich hasse sie, ich hasse sie«, murmelte sie, immer noch mit abgewandtem Gesicht. Schlug immer noch die Hände zusammen.
Er betrachtete die Flasche auf ihrer Kommode, das Glas daneben. Streckte die Hand aus, um Addy an der Schulter zu berühren, war aber nicht fähig dazu. Streckte die Hand nach der Flasche aus, zog sie jedoch wieder zurück.
»Du darfst sie nicht hassen, Addy«, sagte er. »Und überhaupt, Mom ist doch noch da. Dad war derjenige, der gegangen ist.«
»Aber er wäre nicht gegangen, hätte sich nicht zu einer anderen
Weitere Kostenlose Bücher