Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
Vom Netzwerk:
immer weg.
    Als er in der nächsten Woche das Telefon abnahm, grüßte ihn die Stimme seines Großvaters. »Hallo, Kleiner, was treibst du so?«
    Was meinte er mit treiben ?
    »Alles klar, Gramps«, sagte er munter, fest entschlossen, sich ganz natürlich zu geben.
    »Hör mal, ich möchte dich einladen, mit deinem alten Gramps auszugehen. Du bist in letzter Zeit so beschäftigt, dass ich mir dachte, wir machen am besten einen offiziellen Termin aus. Also – wie wär’s mit nächstem Samstag, am Nachmittag?«
    Der Rächer schluckte schwer, konnte spüren, wie sein Adamsapfel auf und ab tanzte. »Tja …« Er suchte fieberhaft nach einer Ausrede. Und versuchte zugleich, die Stimme seines Großvaters zu taxieren, etwas Verborgenes darin aufzuspüren.
    »Ich denke, wir könnten ins Kino gehen. Nächste Woche läuft ein guter Krimi.« Sie sahen beide gern Krimis mit Schießereien und Verfolgungsjagden mit dem Auto und Explosionen. »Danach besorgen wir uns noch ein paar Fressalien.« Er nannte die Hamburger von McDonald’s immer Fressalien . »Na, was sagst du dazu?«
    Was sollte er schon sagen? Er musste sich einverstanden erklären. Er hatte absolut keine Lust auf ein Zusammensein mit seinem Großvater, aber wenn es denn sein musste, war das Kino noch der beste Ort dafür.
    Der Kinobesuch erwies sich dann aber als sehr vergnüglich. Sie stopften sich mit Popcorn und M&Ms und Cola voll und hatten ihren Spaß an dem Geschehen auf der Leinwand, vor allem an dem langen Wettrennen, durch viele Straßen und über Brücken hinweg, zwischen einem Auto und einem Menschen, einem Polizisten.
    Sie waren nach den Süßigkeiten und dem ganzen anderen Kram zu satt, um sich bei McDonald’s noch mit Fressalien zu versorgen. Stattdessen gingen sie in gemächlichem Tempo zur Wohnung seines Großvaters. »Damit wir so richtig schön reden können«, sagte sein Großvater, und da wurde es rings um den Rächer bewölkt, obwohl ihm die Sonne warm auf die Backen schien.
    Die Wohnung seines Großvaters war klein und eng. Der Rächer bekam Atemnot, so als rückten die Wände auf ihn zu und schlössen ihn ein. Die Wohnung befand sich in einem Hochhaus für Senioren, eine sogenannte Vier-Zimmer-Wohneinheit, obwohl es eigentlich nur drei Räume gab, weil das Esszimmer in die Küche integriert war. Und von diesen drei Räumen ging noch das Bad ab. Das Einzige, was dem Rächer an der Wohnung gefiel, war der Balkon mit seinem Eisengeländer, hoch oben im fünften Stock, mit Ausblick auf die Stadt. Über die niedrigeren Gebäude hinweg konnte man bis zu den Bergen in der Ferne sehen. Manchmal holte sein Großvater den Feldstecher hervor, und dann betrachtete der Rächer die Fenster der anderen Häuser oder schaute auf die Leute hinab, die unten vorbeigingen.
    »Möchtest du eine Cola?«, fragte sein Großvater.
    Der Rächer schüttelte den Kopf. »Nein, danke, Gramps.«
    »Kekse? Ein Stück Kuchen?«
    »Ich bin noch ganz satt, Gramps.«
    Er wollte nur nach Hause. Seine Augen brannten ein wenig, und er hatte Kopfschmerzen.
    »Ist dir nicht gut?«, fragte sein Großvater und musterte den Rächer aus schmalen Augenspalten.
    »Ich hab zu viel gegessen«, sagte der Rächer. Er befürchtete, sich übergeben zu müssen. Ihm war am ganzen Körper heiß. Nicht warm, sondern heiß.
    »Schnappen wir etwas frische Luft«, sagte sein Großvater und ging auf den kleinen Balkon hinaus. »Hier draußen können wir besser reden. Wir können uns hinsetzen und uns unterhalten.«
    Aber sein Großvater setzte sich nicht. Er wies dem Rächer einen schmiedeeisernen Stuhl an, während er selbst sich ans Geländer lehnte, mit dem Rücken zur Stadt, die Augen auf den Rächer geheftet. Er begann Fragen zu stellen. Erkundigte sich nach der Schule. Was für Noten hatte er? War seine Rechtschreibung besser geworden? Was machte er nach der Schule, wenn seine Pflichten im Haushalt erledigt waren? Solche Sachen eben. Der Rächer gab bereitwillig Auskunft, redete schnell, verlor sich in Einzelheiten – und das alles nur, um weitere Fragen zu verhindern. Er hatte das Gefühl, dass sein Großvater ihm gar nicht wirklich zuhörte. Seine Augen waren jetzt irgendwie starr, so als sähe er weit in die Ferne oder wäre mit seinen Gedanken ganz woanders.
    Schließlich kehrte der alte Mann dem Rächer den Rücken zu. Lehnte sich ans Geländer, schaute auf die Stadt hinunter. »Ich muss dich etwas Wichtiges fragen«, sagte er. Seine Stimme klang etwas undeutlich.
    Etwas Wichtiges . Bei

Weitere Kostenlose Bücher