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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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hingezogen gefühlt, wenn zwischen ihnen alles in Ordnung gewesen wäre.« Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Warum wehrt sie sich nicht?«
    Das ist der Unterschied zwischen uns, dachte Buddy. Addy war kämpferisch veranlagt, seine Mutter nicht. Und er auch nicht. Er ließ sich treiben, überließ anderen die Führung. So wie bei Harry Flowers. Folgte ihm bei seinen Unternehmungen, folgte ihm ins Haus hinein und machte die schrecklichen Dinge mit, die sie taten. »Ich weiß nicht«, sagte er, kam sich nutzlos vor.
    »Armer Buddy.« Fast ein Flüstern, ihre Stimme traurig und wehmütig.
    Er ging zur Tür, war nicht in der Lage, noch etwas zu sagen. Ihr Mitleid wollte er nicht. Wollte auch ihre Flasche nicht. Traute ihr immer noch nicht so ganz über den Weg. Vielleicht später. Jetzt wusste er nur das eine: dass er aus dem Haus wollte, in die Stadt, wo Crumbs ihn mit dem Stoff versorgen würde, der all das Widerwärtige aus seinem Leben verschwinden ließ.
    Der Rächer hasste das Einkaufszentrum.
    Er hasste die Menschenmenge und das grelle Licht und die Musik aus den Lautsprechern. Fühlte sich verloren und einsam, gar nicht wie ein Rächer. Von all dem, was es zu hören und sehen gab, tat ihm der Kopf weh, und die Augen brannten von all dem Suchen und Schauen. Überrascht stellte er fest, wie viele alte Menschen es im Einkaufszentrum gab. Sie sahen traurig und verlassen aus, saßen auf den Bänken herum, manche starrten ins Leere, während andere mit geschlossenen Augen und offenen Mündern ein Nickerchen hielten.
    Und überall Jugendliche. Liefen hin und her, immer in Bewegung. Allein und in Gruppen. Lachten, liefen aufeinander zu. Die Jungen schubsten manchmal und drängelten. Flirteten mit den Mädchen, und die Mädchen flirteten zurück, mit Seitenblicken, verstohlenem Lächeln. Aßen Würstchen und Pizza und riesige Sandwiches mit verrückten Sachen darauf. Tranken Cola, 7-Up und anderes Zeug.
    Obwohl er das Einkaufszentrum hasste, ging er jeden Tag dorthin, wenn die Schulen den Unterricht beendet hatten. Systematisch hatte er einen Ort nach dem anderen ausgeschlossen, bis sich ergab, dass er die Zerstörer am ehesten im Einkaufszentrum finden konnte. Zu diesem Ergebnis war er eines Tages in seinem Schuppen gekommen, als er seinen Grips angestrengt hatte. Wann immer er ein schwieriges Problem zu lösen hatte, sagte seine Mutter: Streng deinen Grips an. Und das hatte er auch getan. Im Geiste hatte er eine Liste angelegt. Er war gut darin, sich etwas im Kopf vorzustellen. Auf der einen Seite sah er die Fragen, auf der anderen die Antworten. Zum Beispiel: Was weißt du von den Zerstörern? Antwort: Es sind junge Kerle, schick gekleidet, Teenager. Um sie zu finden, muss man dorthin, wo Jugendliche sich aufhalten, stimmt’s? Stimmt. Und wo halten die jungen Leute sich auf? An den Schulen, den Highschools. Halten sich Jugendliche dort wirklich auf? Verschwinden sie nicht so schnell wie möglich, wenn es zum Schulschluss geläutet hat? Stimmt. Wo gehen sie dann hin? Nach Hause, zu Teilzeitjobs an Arbeitsplätzen wie McDonald’s, zu den Läden in der Innenstadt oder ins Einkaufszentrum.
    Das Einkaufszentrum. Genau.
    Früher oder später kam jeder mal ins Einkaufszentrum. Um dort in den Geschäften zu arbeiten oder sich herumzutreiben. Der Rächer seufzte. Ihm graute davor, jeden Tag ins Einkaufszentrum zu müssen, aber er wusste, dass ihm nichts anderes übrigblieb.
    Im Lauf der nächsten drei Wochen ging er fast jeden Nachmittag ins Einkaufszentrum, soweit seine täglichen Pflichten das zuließen. Zuerst bezog er eine Zeit lang am Eingang Posten und ging dann umher, hielt Ausschau, sah sich ständig um, tat aber so, als schaute er gar nicht, versuchte sich unauffällig zu benehmen. Aber wie macht man das? Er fand, dass es am besten war, sich natürlich zu geben, nicht hinter den künstlichen Birken oder den riesigen Farnwedeln zu lauern, die hier und da im Einkaufszentrum aufgestellt waren. Er hielt sich auch nicht zu lange an ein und derselben Stelle auf, pfiff leise vor sich hin und schaute gelegentlich auf die Uhr, als wartete er auf jemand. Und die ganze Zeit über waren seine Augen wie versteckte Kameras. Machten Aufnahmen von den Jungen, die vorbeigingen und in Grüppchen beisammenstanden. Seine Blicke schossen hierhin und dorthin, überall.
    Er lernte, den Sicherheitskräften aus dem Weg zu gehen, obwohl sie kein Problem darstellten. Sie hatten zwar eine beeindruckende Uniform an, waren aber alt und müde,

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