Unheilvolle Minuten (German Edition)
lieben.
Aber sie sagte nichts. Ihr Kopf war leicht geneigt, ihre Haare streiften seine Wange, der Duft ihres Shampoos strahlte Frische aus.
Er wartete. Dann sagte er: »Jane?«
»Ja?«
»Ich sagte: Ich werde dich immer und ewig lieben.«
Sie rückte näher an ihn heran.
»Wirst du mich auch bis in alle Ewigkeit lieben?« Traurig, weil er erst fragen musste.
Erstaunt wich sie ein Stück zurück, furchte die Stirn. »Weißt du das denn nicht schon längst?«
Er schloss sie in die Arme, zitternd bis ins innerste Mark, denn wie in einem aufflammenden Blitzlicht hatte er plötzlich gesehen, wie leer und bedeutungslos sein Leben ohne sie wäre.
Ein Schauder durchlief ihn, als er sie an sich zog und sie leidenschaftlich küsste, ohne Ende, bis sie sich zurückzog und mit bebender Stimme sagte: »Ach, Buddy.«
Die ganze Welt lag in ihrer Stimme, als sie seinen Namen aussprach.
»Wann werden wir deinen mysteriösen Freund denn kennenlernen?«, fragte ihr Vater am Abendbrottisch.
»Er ist nicht mysteriös, Dad«, gab Jane zurück. »Nur … schüchtern.« Suchte nach einem Ausdruck für Buddys Sträuben, ihre Eltern kennenzulernen, fand aber nur das Wort schüchtern.
»Vielleicht gibt es gar keinen Buddy«, sagte Artie. »Vielleicht ist er ja nur eine Ausgeburt ihrer Fantasie.« Manchmal flackerte seine alte Widerborstigkeit auf und er war einen Augenblick lang wieder der Bruder, der er vor der Verwüstung gewesen war. Obwohl er sich immer noch nicht mit seinen Videospielen beschäftigte, hatte er keine Albträume mehr und mischte wieder in dem Rudel Gören mit, das sich auf den Bürgersteigen der Umgebung herumtrieb.
»Und ob er existiert«, sagte Jane. Sie dachte an seine Berührungen, daran, wie er am gestrigen Abend mit zitternder Hand ihre Brust umfasst hatte. »Lass uns Zeit …«
»Er mag ja ein sehr netter Junge sein, Jane«, sagte ihr Vater mit einem Unterton von Schärfe in der Stimme, »aber ich finde, wir sollten ihn kennenlernen. Mir gefällt es nicht, wie du aus dem Haus saust und in sein Auto springst …«
»Das Auto seiner Mutter«, berichtigte sie ihn.
»Ich rede nicht davon, wem der Wagen gehört«, sagte ihr Vater, wurde jetzt heftig. »Ich rede von dem Jungen, mit dem du sehr oft zusammen bist und von dem du mit verträumten Augen schwärmst, den wir aber noch nie kennengelernt haben. Er hat noch nie einen Fuß in unser Haus gesetzt …«
»Wir wollen dir doch nur zeigen, dass du uns am Herzen liegst«, sagte ihre Mutter sanft, begütigend.
»Habt ihr kein Vertrauen zu mir?«, fragte Jane.
»Natürlich vertrauen wir dir, Schätzchen«, sagte ihre Mutter. »Aber ist es denn ein vermessener Wunsch, wenn wir den Jungen kennenlernen wollen, den du so wunderbar findest? Möchtest du uns nicht teilhaben lassen?«
Später in ihrem Zimmer, als sie sich die Haare bürstete, wurde ihr klar, dass ihre Beziehung zu Buddy so lange unvollkommen bleiben würde, bis zwei Dinge eintraten: dass sie ihm von der Verwüstung erzählte und ihn ihren Eltern vorstellte.
Ganz unerwartet ereignete sich beides noch am selben Abend.
Als Buddy und sie aus dem Bus stiegen, der sie aus Wickburg nach Burnside zurückgebracht hatte, stießen sie auf ihre Eltern, die sich einen Film im Downtown Cinema angesehen hatten und jetzt auf der Hauptstraße flanierten. Aufgeregt und verlegen, aber dennoch hochbeglückt übernahm Jane die Vorstellung. Dann stand sie in stolzem Schweigen da, während Buddy sehr höflich die Hand gab und ein wenig schüchtern sein »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen« murmelte, wobei er auf liebenswerte Weise ins Stammeln geriet. Sie betrachtete ihn mit den Augen ihrer Eltern und freute sich an dem, was sie sah: einen gut aussehenden, wohlerzogenen jungen Mann, sauber und ordentlich mit seiner braunen Kordhose und dem braunen Sporthemd. Ihre Freude steigerte sich noch, als ihr Vater sagte: »Ich hoffe, du schaust mal bei uns vorbei«, und Buddy antwortete: »Vielen Dank, Sir, das werde ich tun.«
Vielleicht war diese Begegnung der Grund dafür, dass Jane ihm ein paar Minuten später, als sie am Rand des Jedson-Parks auf einer Bank saßen und sich an der Wärme und den Düften des Frühlingsabends labten, von der Verwüstung erzählte. Die Worte kamen einfach aus ihrem Mund, ohne dass sie das geplant oder sich etwas zurechtgelegt hätte.
»Vor einiger Zeit hat es bei mir zu Hause einen Überfall gegeben«, sagte sie. »Ein paar Kerle haben alles verwüstet. Meine Schwester ist immer noch im
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