Unheilvolle Minuten (German Edition)
greifen ließ, obwohl sein Verlangen nach Alkohol geringer geworden war, seit er Jane kennengelernt hatte. Jetzt musste er dabei natürlich geschickt vorgehen. Musste sein Trinken vor Jane verbergen. Er machte sich Sorgen wegen seiner Fahne. Gäbe es doch nur ein Mittel zu kaufen, das frischen Atem garantierte! Certs oder Scope traute er nicht. Er kaute alle Arten von Kaugummi, obwohl er das Zeug verabscheute; der Geschmack war ihm zu süß und aufdringlich. Manchmal hielt er die Luft an oder atmete durch die Nase, wenn er in ihrer Nähe war. Beim Küssen kam es vor, dass sie sich verkrampfte, und er fragte sich, ob sie den Gin auf seiner Zunge schmeckte. Das Einfachste wäre natürlich, mit der Sauferei ganz aufzuhören. Aber das Trinken erhöhte das Glück, das Jane ihm bescherte. Das Wunder des Alkohols: Er wandelte sich mit seinen Bedürfnissen, verstärkte die guten Dinge in seinem Leben. Sachtes Trinken, kein wildes Runterschütten mehr, sondern langsam, in kleinen Schlucken – das verdeutlichte das Wunderbare von Jane und ihrer Liebe und schenkte ihm Visionen von ihnen beiden, wie sie über die Jahre hinweg zusammenblieben.
Nicht mehr das intensive Saufen aus der Verzweiflung heraus, sondern eine andere Art, behutsam, wie im Traum.
Eines Nachmittags, als sie durch die Drehtür von Filene gingen und auf den Bürgersteig traten, stießen sie auf seine Mutter. Verblüffte Blicke, und für den Bruchteil eines Augenblicks blieb die Zeit stehen, während sie einander anstarrten. Er stotterte sich durch die Vorstellung: »Jane … meine Mutter … Mom … Jane Jerome …«
Seine Mutter – elegant wie eh und je; jedes Haar an seinem Platz, obwohl es windig war – blieb stehen, mit neugierig hochgezogenen Augenbrauen, und sah ihn forschend an, als wollte sie fragen: Wie lange geht das denn schon? Und ihm wurde traurig bewusst, wie groß die Kluft zwischen ihnen war. Es gab keinen Kontakt mehr zwischen ihnen. Seit jener Konferenz in ihrem Schlafzimmer hatte sie die Exerzitien nicht mehr erwähnt und er hatte nicht danach gefragt. Jetzt erschrak er darüber.
»Wie schön, dass wir uns treffen«, sagte seine Mutter. Er war stolz auf ihr gewandtes Auftreten. Sie beugte sich vertraulich zu Jane vor und sagte: »Buddy ist in letzter Zeit so glücklich. Ich hab mir schon gedacht, dass in seinem Leben etwas Wunderbares passiert sein muss. Und jetzt kann ich’s verstehen …«
Das machte ihm noch mehr Gewissensbisse. Er hätte ihr von Jane erzählen sollen. Dann dachte er: Warum hat sie mich nicht gefragt, wenn sie doch gemerkt hat, wie sehr ich mich verändert habe? Er begriff, dass das Leben niemals einfach war.
Als sie danach spazieren gingen, vom Wind gepeitscht, Janes Hand in seiner Hand und beide Hände in seiner Jackentasche – da dachte er über seine Mutter und seinen Vater nach. Und über die Liebe. Vielleicht waren seine Eltern früher einmal in der gleichen Art von Liebe entbrannt gewesen, wie sie Jane und ihn jetzt verband. Veränderte sich die Liebe mit den Jahren? Wurde sie schwächer, blass? Oder nur noch tiefer? Oder verlor sie an Gegenseitigkeit? Sein Vater hatte sich neu verliebt. Seine Mutter nicht. Er wusste, wie sehr er am Boden zerstört wäre, wenn Jane ihn verlassen würde. War das mit seiner Mutter geschehen, verlassen von ihrem Ehepartner, dem Mann, den sie liebte und von dem sie erwartet hatte, dass auch er sie liebte und sie über die Jahre hinweg weiterhin lieben würde? Bis dass der Tod uns scheidet. Und sein Vater: Er war jetzt in diese Frau verliebt, in Fay. So verliebt, dass er ihretwegen seine Familie verließ. Das war etwas Schreckliches, aber – aber brachte er dieser Frau, Fay, solche Gefühle entgegen, wie Buddy sie Jane gegenüber empfand? Mal angenommen, er hätte Jane kennengelernt, während er eine Beziehung mit einer anderen hatte …
»Was ist denn los, Buddy?«, fragte Jane und drückte sich an ihn, hielt dabei den Wind von ihm ab. Ihre Hand lag immer noch in seiner, warm und feucht.
»Nichts«, sagte er, verwirrt von seinen Gedanken, von all dem Sonderbaren, was Liebe sein konnte.
»Deine Mutter macht einen sehr netten Eindruck«, sagte Jane. »Sie ist wunderschön …«
Stimmt. Aber mein Vater hat sie trotzdem verlassen, dachte er.
Am Abend sagte er zu Jane: »Ich werde dich immer und ewig lieben.« Legte ein Gelöbnis ab, feierlich, auf Dauer gültig.
Er wartete auf ihre Reaktion, wartete darauf, dass sie sagte: Auch ich werde dich immer und ewig
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