Unheilvolle Minuten (German Edition)
schnupperte, erzählte Buddy ihm, wie er ihr ins Einkaufszentrum gefolgt war, erzählte von seinem Sturz und den ganzen Rest.
»Ich liebe sie, Harry. Und sie liebt mich«, schloss er etwas lahm.
»Aber was passiert, wenn sie’s erfährt, Buddy? Was geschieht dann?« Er machte jetzt einen ehrlichen Eindruck, wirkte aufrichtig besorgt.
»Sie wird es nicht erfahren«, sagte Buddy. Seine Worte klangen überzeugter, als es seinen Gefühlen entsprach.
»Natürlich erfährt sie’s«, sagte Harry. »Wickburg ist ein kleiner Ort und Burnside ist sogar noch kleiner. Liegt ihre Schwester immer noch im Krankenhaus? Immer noch im Koma?«
Buddy nickte. Er saß in der Falle. Noch bevor Harry die Frage stellte, wusste Buddy, was er ihn fragen würde, denn er selbst hatte sich diese Frage schon tausendfach gestellt. Und Harry stellte die Frage. »Was passiert, wenn sie aus dem Koma erwacht? Wenn Jane Jerome sagt: ›Karen, ich möchte dir meinen Freund vorstellen, den Mann, den ich liebe.‹ Und sie sieht dich an und erinnert sich an jenen Abend?«
»Ich bin mir gar nicht so sicher, ob sie mich damals gesehen hat«, sagte Buddy. »Ich war oben, als sie ins Haus kam.«
»Du hast keine Chance, Buddy«, sagte Harry. »Ob ihre Schwester sich noch an dich erinnert oder nicht – früher oder später wird Jane Jerome erfahren, dass du an jenem Abend im Haus warst. Du hast dir das falsche Mädchen zum Verlieben ausgesucht. Das falsche Mädchen und den falschen Zeitpunkt …«
»Sie ist das Risiko wert, Harry«, sagte er.
Harry streckte die Arme aus, ließ die Schultern rollen. »Ah, riech nur mal diesen Hackbraten«, sagte er und sog wieder die Luft ein. »Es wird Zeit, den Appetit zu befriedigen.«
»Geh nur. Ich hab keinen Hunger«, sagte Buddy. Selbst wenn er hungrig gewesen wäre, hätte er während der Mittagspause nicht Harrys Gesellschaft haben wollen.
Im Gehen warf Harry einen Blick nach hinten, sah Buddy über die Schulter an. »Du solltest dir noch um was anderes Gedanken machen, Buddy«, sagte er. »Mal angenommen, jemand beschließt, Jane Jerome über dich zu informieren und ihr zu sagen, was du mit ihrem Zimmer angestellt hast?«
Dann ließ er Buddy stehen – als Zielscheibe an einem Schießstand, ohne die Möglichkeit, sich irgendwo zu verstecken.
Das Weiß der Zimmerdecke weckte sie auf.
Aber das war albern.
Zimmerdecken weckten einen nicht auf, auch nicht, wenn sie noch so weiß waren.
Was also war es dann?
Sie wusste es nicht. Lärm, klingelnde Wecker, Mom, die unten an der Treppe stand und rief: »Mach voran, Karen, sonst kommst du zu spät zur Schule.« Von solchen Dingen wachte man auf.
Aber nicht von weißen Zimmerdecken.
Außerdem schaute sie auf die Decke hinunter und Zimmerdecken waren oben , nicht unten.
Sie machte die Augen zu. Damit war die Decke erledigt, aber die Dunkelheit ihrer geschlossenen Lider drohte sie zu verschlingen, sie aufzufressen, und sie schlug die Augen wieder auf.
Die Zimmerdecke war immer noch weiß, aber diesmal war sie über ihr, wo sie hingehörte. Und sie sah einen Riss in der Decke, wie ein kleiner Blitzstrahl, der nun für immer in Weiß eingefangen war.
Sie zwinkerte heftig, probierte ihre Augen aus, um festzustellen, ob sie funktionierten. Auch das war albern, aber irgendwie notwendig. Sie versuchte sich zu bewegen. Oder vielmehr, sie nahm sich vor, sich zu bewegen, und probierte es dann aus. Dabei hatte sie keine Ahnung, warum sie solche Tests mit sich machte. Und warum war sie eigentlich hier?
Aber wo war hier ?
An dieser Stelle wurde sie von Panik ergriffen, wie von einer Welle, die sie verschlang und nach oben schleuderte und herumwirbelte, so dass sie spürte, wie ihr Körper abhob und an den Laken zerrte und noch an mehr als an den Laken. Etwas zog an ihrem Arm. Ihr Arm war gefangen, gefesselt, festgebunden an etwas Schreckliches, das neben ihrem Bett stand und surrte oder piepste – sie war sich nicht sicher, was für Töne das waren.
Mit der Wucht einer Tür, die ihr ins Gesicht knallte, überkam sie plötzlich die Erkenntnis, dass sie im Krankenhaus war. Ein Bild stieg vor ihr auf, von Stufen, die rings um sie herumpurzelten, auf und ab, aber die Erinnerung und die Panik waren jetzt wie lauter Kälteschauder. Selbst ihr Blut schien zu erstarren, als hätte man eisige Würmer unter ihrer Haut aufgescheucht. Doch als sie schreien wollte, stürzte sie in Dunkelheit, und alles wurde ausgelöscht, so wie verrückte Kritzeleien auf einer Tafel.
Jane
Weitere Kostenlose Bücher