Unheilvolle Minuten (German Edition)
Liebe zu ihr schoss ihm wie ein mächtiger Strom durch den Körper, und er erkannte, wie elend und einsam sein Leben ohne sie wäre. Schlimmer, als ohne Alkohol zu sein. Er dachte daran, wie leer die kommenden Tage wären, wenn er sie jetzt verlor. Er fing an zu weinen, und seine Tränen vermischten sich mit ihren, als sie Wange an Wange lagen. »Ich liebe dich«, sagte er mit erstickter Stimme, die er selbst nicht als seine eigene erkannte. »Ich liebe dich mehr als den Alkohol.«
Unbeschreiblich bewegt vom Anblick des weinenden Buddy mit seinem verzogenen Mund, der laufenden Nase und dem wirren Haar, unterdrückte Jane ihr Schluchzen und wartete darauf, dass er die Worte sagte, nach denen sie sich so schmerzlich sehnte. Und er sprach sie aus.
»Ich höre auf zu trinken, Jane. Ich verspreche dir, nicht mehr zu trinken …«
Er brachte ohne jede Schwierigkeit drei alkoholfreie Tage hinter sich. Seine zweite Chance bei Jane bewirkte, dass er kein Verlangen nach Alkohol hatte. Und doch räumte eine kleine Ecke in seinem Gehirn ein, dass es noch eine andere Lösung geben musste. Es war unvorstellbar, den Rest seines Lebens ohne einen weiteren Drink zu verbringen. An jenem Abend im Auto hatte er in seiner Panik und Verzweiflung die Worte Ich verspreche dir, nicht mehr zu trinken als letzte Waffe eingesetzt, um Jane nicht zu verlieren. Und als er sein Versprechen ablegte, glaubte er felsenfest daran.
Während dieser drei Tage senkte sich Sehnsucht wie ein trauriger Nebel auf ihn herab, obwohl er keinen Durst auf Alkohol hatte und auch kein Verlangen nach seinen Auswirkungen. Doch ein Licht in seinem Leben wurde irgendwie gedämpfter, so als schiene die Sonne zwar noch, sei aber von dunklen Wolken verhangen. Schluss mit diesem Selbstmitleid, hielt er sich vor. Jane ist dein Sonnenschein, wie es in einem alten Lied heißt.
Seit er vor einigen Monaten ernstlich angefangen hatte zu trinken, fielen ihm Artikel über Alkoholismus auf, und manchmal las er sie. Dann hörte er auf, sie zu lesen. Er lehnte es ab, die Tests zu machen, die in den Artikeln oft enthalten waren, zum Beispiel auf die sieben oder acht oder neun Anzeichen von Alkoholabhängigkeit hin. Er hatte in der Schule schon bei allzu vielen Tests versagt, da brauchte er nicht auch noch bei Alkoholtests durchzufallen. Aber er war auf die Slogans der Anonymen Alkoholiker aufmerksam geworden, und an diesen ersten Tagen seines Versprechens machte er sie sich zu Nutze, vor allem Immer einen Tag nach dem anderen angehen . Er löste sich von allen Gedanken an die Zukunft und konzentrierte sich stattdessen auf heute, nicht auf morgen oder nächste Woche. Der Trick funktionierte, jedenfalls für den Augenblick.
Noch ein Trick: der Gin in der Garage, den er vor seinem Versprechen dort versteckt hatte. Die Flasche war unberührt. Er hatte immer versucht, eine Flasche vorrätig zu haben, konnte sich noch gut an die Panik erinnern, wenn kein Alkohol im Haus war und er kein Geld hatte oder Sonntag war und die Geschäfte geschlossen waren. (Einmal hatte er das Barfach seines Vaters geplündert, war aber enttäuscht worden – er hatte nur eine einsame Flasche Whisky aufgetrieben, die zudem fast leer war, so dass er nur ein paar schnelle, kurze Schlucke riskieren konnte.) Als Folge davon war er bemüht gewesen, immer eine zusätzliche Flasche zur Hand zu haben, und diese Flasche blieb jetzt in der Garage. Drei Tage, seit er zuletzt getrunken hatte, drei Tage Glückseligkeit mit Jane – sie war noch nie so zärtlich, so liebevoll gewesen, hatte ihm gestern Abend gestattet, ihre Bluse und den BH aufzumachen und ihre Brüste zu küssen. Die Flasche soll unberührt bleiben, sagte er sich am Nachmittag des dritten Tages, als er sich in seinem Zimmer über die Schularbeiten hermachte, die Lautstärke an seinem CD-Player so laut aufgedreht, dass die Wände unter dem Ansturm von Heavy Metal bebten.
Aber am vierten Tag setzte Schwermut ein, eine trübselige Stimmung. Eine verpatzte Klassenarbeit in Englisch, ganz einfach deshalb, weil er das Kapitel nicht gelesen hatte. Hatte drei Zusammentreffen mit Harry Flowers gehabt, und Harrys Gesicht war wie eine Steinmauer gewesen, undurchdringlich, kalt. Am Morgen Durchfall, Magenbeschwerden. Jane war am Nachmittag in der Schule geblieben, um für die Aufnahme in den Schulchor vorzusingen. Regen peitschte ans Fenster. Die perfekte Szenerie für Alkohol, dachte er, aber darauf fall ich nicht rein. Trotz Schwermut, Niedergeschlagenheit,
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