Unheilvolle Minuten (German Edition)
wenn ich aufhöre zu trinken, dann wäre das ein Eingeständnis, dass es ein Problem ist. Verstehst du, was ich meine?« Er staunte über seinen Scharfsinn und darüber, wie logisch und überzeugend er sein konnte. Janes Miene blieb allerdings zweifelnd. Und in ihren Augen lag ein abwesender Ausdruck, als dächte sie über Dinge nach, die sie nicht in Worte zu fassen vermochte.
»Das ist doch nicht normal, Buddy«, sagte sie. Gab sich Mühe, ruhig zu bleiben und sich von ihrer Panik nichts anmerken zu lassen. »Du gehst noch auf die Highschool. Du solltest überhaupt keinen Alkohol trinken. Na schön, vielleicht mal auf einer Party oder so. Aber nicht so viel, wie du trinkst …«
Stirnrunzelnd fragte er sich, was sie wohl denken würde, wenn sie wüsste, wie viel er tatsächlich trank. Er hatte ihr gesagt, dass er sich gern mal einen Drink genehmigte, wenn er seine Hausaufgaben machte oder sich nach der Schule entspannen wollte. »Nicht sehr viel«, hatte er gesagt.
»Wie viel ist ›nicht sehr viel‹?«
In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. »Ach, vielleicht alle paar Tage mal eine Flasche.« Er wusste, dass er sich auf dünnes Eis begab – durfte nicht zu viel sagen und nicht zu wenig. Als er sah, wie ihr Gesicht sich verkrampfte, war ihm klar, dass er zu weit gegangen war. Und versuchte seinen Fehler auszumerzen. »Ich achte gar nicht auf die Menge. Wahrscheinlich ist es noch nicht mal so viel …«
Ihre Fragen nahmen kein Ende. Wo kaufst du das Zeug? Wie kannst du Alkohol kaufen, wenn du doch noch gar nicht das gesetzlich vorgeschriebene Alter dazu hast? Wer verkauft ihn dir?
Er antwortete vorsichtig, sagte die Wahrheit, vertuschte sie aber zugleich. Erzählte ihr nichts davon, dass er manchmal, wenn er Crumbs nicht auftreiben konnte, mit den Pennern im Park herumlungerte und sich selbst wie ein Penner fühlte. Erzählte ihr nichts davon, wie er morgens verkatert zur Schule stolperte und nur darauf wartete, an sein Schließfach zu kommen, wo er eine Flasche versteckt hatte. Erzählte ihr nichts davon, dass er jetzt in diesem Augenblick – während sie miteinander sprachen und er darauf beharrte, dass er nur trank, weil es ihm schmeckte, und er jederzeit aufhören könnte – dringend einen Drink benötigte und nach dem süßen Balsam des Alkohols lechzte.
»Warum hast du die Flasche ins Kino mitgenommen?«, fragte sie mit ehrlicher Neugier.
Er hob die Schultern zu einem müden Achselzucken. Konnte ihr nicht die Wahrheit sagen und eine Lüge fiel ihm nicht ein. Er hasste das Wort Lüge. Ausrede war ein besseres Wort. Ihm fiel aber keine Ausrede ein, die Jane akzeptieren würde.
»Wie du vorhin auf dem Klo warst – bist du deshalb auf die Toilette gegangen, um dir einen Drink aus der Flasche zu genehmigen?« Sie wusste noch, dass er bei seiner Rückkehr wie wild Kaugummi gekaut hatte.
»Nein«, sagte er. Log. Er war ein Lügner.
»Du lügst«, sagte sie, die Stimme ganz tonlos vor Anklage und Bedauern.
Er wandte sich zu ihr, um sie anzuschauen, und sah sie als seine Feindin. Das Mädchen, das er liebte, aber dennoch eine Feindin. Ihre Augen blitzten vor Zorn, und da war noch etwas anderes als Zorn. Vielleicht Trauer.
»Okay, ich hab gelogen, damit du dir das nicht so zu Herzen nimmst«, sagte er.
»Aber warum musstest du mitten im Film losgehen und Whisky trinken?«
»Es war kein Whisky. Es war Gin.«
»Es war Alkohol«, sagte sie.
»Weil ich mich dann besser fühle«, sagte er, platzte schließlich doch mit der Wahrheit heraus. »Die Welt ist manchmal ein grässlicher Ort, und der Alkohol lässt die grässlichen Dinge verschwinden …« Die grässlichen Dinge, die er getan hatte – zum Beispiel die Verwüstung.
»Und was ist mit mir?«, fragte sie. »Was ist mit uns? Wie kannst du sagen, dass die Welt grässlich ist, wenn wir einander haben?«
Tränen schossen ihr in die Augen und da war noch mehr als Tränen. Ein Schluchzen, dass ihre Schultern bebten und Schauder durch ihren Körper jagten, unbeherrschbar. So hatte sie seit ihrer frühen Kindheit nicht mehr geweint; vielleicht hatte sie noch nie so geweint. Und dann lag sie in seinen Armen, eingehüllt von ihm, und er murmelte leise Worte an ihrer Wange, während sie sich an ihn klammerte.
»Ich liebe dich, Jane. Du gehörst nicht zu dieser grässlichen Welt – du bist der Grund dafür, warum ich so glücklich bin. Du vertreibst die grässlichen Dinge …«
Wie der Gin, dachte sie. Ich bin für ihn wie Alkohol.
Seine
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