Unheimliche Begegnungen (German Edition)
schwang. Ehe er schlagen konnte, hatte Vinc sie ihm aus der Hand gerissen.
Der Rücken der Gezüchtigten zeigte zwei breite, blutige Striemen, die gewiss bald aufspringen mussten. Der Wirt stand dabei mit der Miene eines Gesetzgebers, der sich am Gehorsam weidete, den seine Befehle verursachten.
Er schritt auf Vinc zu, streckte die Hand nach der Peitsche aus und schrie ihn an:
„Was fällt dir ein? Die Peitsche her!“
Vinc war höchst zornig über diese schändliche Art eine Frau zu züchtigen. Seinetwegen mochte sie getan haben, was sie wollte, so aber sollte sie in seiner Gegenwart nicht geschlagen werden.
Vinc fühlte, dass sein Angesicht glühend rot war, und fragte den Wirt mit gehobener Stimme:
„Was hat das Mädchen getan?“
„Das geht dich nichts an!“, erwiderte er trotzig.
„Ist das deine Tochter?“
„Was hast du zu fragen? Her mit der Peitsche, sonst bekommst du sie selbst zu spüren!“
Vinc wunderte sich selbst über seinen Mut. Er wusste, er hatte keine Chance gegen diesen muskulösen und größeren Mann. Aber es tat ihm in der Seele weh, als er das arme Mädchen leiden sah. Sie erinnerte ihn an Vanessa und sah sie an Stelle des Mädchens, das machte ihn erst recht wütend. Inzwischen hatte er auch mehr Mut bekommen, denn was ist dagegen schon ein grober Klotz wie der Wirt, wo er doch schon Geister und andere gefährliche Wesen begegnet war.
Zubla hatte sich beiden genähert aus Sorge um Vinc und der befürchteten Entwicklung, die zu einem sehr ernsten, sogar lebensgefährlichen Streit führen könnte. Aber er hielt den nötigen Abstand, um nicht unmittelbar darin verwickelt zu werden, solange Vinc noch in der Lage war, es selbst zu meistern. Aber sie war bereit, wenn nötig, einzugreifen.
Der Wirt sprang auf Vinc los. Vinc wich nicht zurück, sondern hob den rechten Fuß und empfing ihn mi einem Tritt in die Magengegend. Dabei musste er selbst sehr fest stehen, nach vorn gebeugt, sonst würde er selbst hinstürzen. Bei dieser Aktion kam ihm sein Karateunterricht zugute. Ohne die Kenntnisse der Selbstverteidigung hätte er wohl nicht den Angriff gegen diesen bärigen Mann gewagt.
Der Wirt flog in den Schmutz des Hofes, hatte aber nun genug, denn er konnte nur mit Mühe aufstehen. Er wollte reden, brachte aber nur ein ergreifendes Wimmern hervor und hinkte zur Stube, ohne Vinc nur einen einzigen Blick zuzuwerfen. Frauen schienen für ihn überhaupt nicht da zu sein, denn er würdigte ihnen keines Blickes, genauso wenig wie er bisher Zubla beachtet hatte. Für Vinc war es schlimmer, als wenn er Drohungen gegen ihn ausgesprochen hätte, daher warnte ihn seine innere Stimme. Irgendetwas hatte der Wirt vor.
Vinc ging zur Leiter zurück. Dort sah er zunächst, ob nicht ein Pfeil von einem Bogen oder ein Bolzen einer Armbrust aus irgendeinem Fenster treffen könnte. Das war nicht möglich. Er deutete aber Zubla an, er möge Deckung suchen. Er versteckte sich hinter einem breiten Pfahl, dessen Zweck sie nicht kannte, aber ihr Schutz zu den Fenstern hin bot.
Vinc stellte sich so, dass er stets einen der Männer zwischen sich und der Tür hatte.
„Bindet sie los!“, befahl er.
Was Vinc wunderte, dass sie keine Hand gerührt hatten, um dem Wirt zu helfen. Sie gehorchten sofort.
„Zieht sie an!“
Die Gezüchtigte konnte die Arme kaum bewegen, so fest waren sie ihr angebunden gewesen und so schmerzten die Schwielen auf dem Rücken.
„Warum wurde sie geschlagen?“, fragte Vinc.
Es standen drei Frauen und vier Männer da, einer roher aussehender als der andere.
„Der Herr hat es befohlen“, antwortete einer.
„Der Herr?“, fragte Vinc.
„Ja. Wir sind seine Leibeigene“, antwortete ein anderer.
„Warum hat er es befohlen?“, wollte Vinc wissen.
„Weil sie gescherzt hat.“
„Mit wem?“
„Mit dem Fremden.“
„Ist sie verwandt mit dem Herrn?“
„Nein, sie ist eine Bewohnerin einer nahen Ortschaft, aber steht ihm zu diensten.“
„Und er wagt es, sie schlagen zu lassen, nur weil sie mit einem Fremden freundlich war?“
Das Mädchen hatte sich hinter eine nahe Tür zurückgezogen.
„Ja, sonst hatte sie nichts getan“, antwortete der Mann. „Der Herr ist sehr streng und heute früh schon war er ungewöhnlich wild.“
In diesem Augenblick kam der Genannte wieder auf den Hof. Er hatte eine Armbrust in den Händen. Er schien sich von dem Fußtritt leidlich erholt zu haben. Er konnte wieder reden, denn er schrie Vinc schon von weitem mit gellender Stimme
Weitere Kostenlose Bücher