Unheimliche Begegnungen (German Edition)
und dich auch nicht.“ Er hatte diesmal absichtlich diesen Satz gewählt, denn Jim war sowieso der Meinung, Vinc nehme ihn auf den Arm.
Und so sah es auch der Fiesling, denn er hob den Mittelfinger und sagte: „Leck mich doch. Da hinten kommen dein Fresssack und meine Süße.“
Da Jim keine Lust hatte, mit Tom und Vinc gemeinsam zusammenzutreffen, radelte er eilig davon. Wenn er auch ein loses Mundwerk hatte, so fehlte ihm der Mut.
Zunächst blieb Vinc ruhig auf der kühlen Sitzfläche der Bank sitzen. Denn, das die zwei herannahenden Radler ausgerechnet Tom und Vanessa sein sollten, hielt er doch für mehr als unwahrscheinlich. Er überlegte, ob er gestern nicht doch in der Schule war. Da fiel ihm ein, die beiden hier am Tag zuvor an gleicher Stelle getroffen zu haben. Er schüttelte den Kopf. Er glaubte, kurz vor dem Wahnsinn zu sein. Konnte das Abenteuer auf Arganon doch nur eine Ausgeburt seiner lebhaften Fantasie gewesen sein? Denn er konnte unmöglich in einer Nacht das erlebt haben. Er bekam Angst, des Wahnsinns verfallen zu sein.
„Hallo Vinc. Kein Küsschen in Ehren?“, fragte Vanessa und hielt ihm den gespitzten Mund entgegen. Vinc stand auf und berührte leicht ihre zarten Lippen.
„Du siehst mich an, als sei ich ein Gespenst“, lachte Vanessa. „Wohl noch nicht richtig wach?“
„Willst du mich nicht auch begrüßen?“, fragte Tom und meinte schnell noch: „Nicht mit einem Kuss. Händeschütteln reicht schon.“
„Ihr könnt doch gar nicht hier sein“, Vinc hatte sich entschlossen, dem Rätselhaften sofort auf den Grund zu gehen.
„Wie bitte? Erkläre mir diesen Satz!“, forderte Vanessa ihn auf.
„Ihr seid doch auf Arganon gefangen“, sagte Vinc.
„Bist du heute Morgen mit dem Kopf gegen dein hartes Frühstücksei gelaufen? Wir sind doch hier“, meinte Tom und musste über seine witzige Bemerkung lachen, wobei seine Schwester mit einstimmte.
Vinc aber blieb ernst, was bei Vanessa Besorgnis auslöste. Sie fragte: „Was ist mit dir? Du verträgst doch sonst Humor.“
„Ihr wisst nichts von der dunklen Seite? Den Mächten der Finsternis? Dem Abgrund der Liebe?“, fragte Vinc.
„War das ein Film im Fernsehen?“, kam Vanessas Gegenfrage.
Vinc glaubte nun wirklich, es wäre ein Traum gewesen. Er forschte weiter.
„Tom kannst du dich noch an die Höhle erinnern? Erst hattest du von ihr geträumt, dann waren wir dort. Der Eingang wurde verschüttet. Und an die Gegenstände, die wir darin fanden. Den Dolch, den Siegelring und das Glasauge?“ Vinc geriet in Erregung bei der Aufzählung dieser Sachen.
„Ich glaube, du musst deinen Klammerbeutel niedriger hängen, sonst kannste nicht die Wäsche auf die Leine klammern. Ich weiß nix von einer Höhle und von dem Zeugs, dass wir gefunden haben sollen, auch nix“, antwortete Tom verwundert.
Vinc gab nicht auf: „Du, Vanessa erinnerst dich doch noch an den Ereignissen im Waldhaus? Dem merkwürdigen Verhalten von Herrn Santers? Das Verschwinden und plötzliche Auftauchen von Tom?“
Sie schüttelte nur den Kopf. Sie machte sich mehr Sorgen, je intensiver Vinc forschte.
Vinc gab auf. Was war nur mit ihm los? Er setzte sich wieder auf die Bank und schloss die Augen. Er fühlte neben sich Vanessa, die sich zu ihm gesetzt hatte. Er spürte ihre zärtliche Umarmung. Ihren Arm über seine Schultern. Ihre heiße Wange, die sie an seine legte. Er hörte ihre beruhigende Stimme, aber auch ihren fürsorglichen Ton.
„Du musst ja heute Nacht etwas schreckliche geträumt haben, dass du so durch den Wind bist.“
Was sollte Vinc da noch antworten. Zweifelte er doch inzwischen an sich selbst.
„Wir radeln zur Schule und treffen uns nach dem Unterricht im Waldhaus. Da können wir in aller Ruhe darüber reden. Vielleicht hast du auch bis dahin deinen Alptraum verdaut.“
Da sich jedes weitere Gespräch wohl im Kreis drehen würde, fand es auch Vinc als einen vernünftigen Vorschlag.
Dem Unterricht konnte er kaum folgen, denn zu sehr beschäftigte ihn das Wort Arganon, das sich regelrecht in sein Gehirn eingebrannt hatte. Er meinte auch, heute sei irgendetwas in der Schule anders. Doch es konnte auch die Einbildung sein. Je länger man sich in eine Sache hineinsteigerte, desto realistischer wurde sie, bis zum Schluss das Gehirn etwas vorgaukelte, was gar nicht vorhanden war. Das beängstigte ihn doch sehr, denn davon entsteht der Irrsinn. Aber wann beginnt er?
Ein Glück, dass Schwabbel einen längeren Vortrag über Geschichte hielt
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