Unmoralisch
etwas anderem. Die Leute wurden unruhig, deuteten mit dem Finger, sprangen auf. Jemand rief etwas.
Es war Maggie, die in der dritten Reihe aufgestanden war, Stride beim Namen rief und sich bereits an den anderen Zuschauern vorbei auf den Gang hinaus drängte.
Ganz in der Nähe begannen die Leute zu schreien.
Stride sah, wie Graeme Stoner sich mit einer konvulsivischen Bewegung von seinem Stuhl hinter dem Verteidigungstisch erhob, als wäre ihm ein elektrischer Schlag durch den Körper gefahren. Er suchte Halt, indem er die Handflächen flach auf den Tisch stützte. Seine Augen waren weit aufgerissen und blickten verwirrt drein.
Graeme riss den Mund auf, als wollte er loslachen. Doch dann hob sich sein Brustkorb, und ein Rinnsal Blut floss von seinen Lippen. Er blinzelte, schaute auf die Tropfen hinunter, die kirschfarbene Flecken auf seinem schneeweißen Hemd hinterließen, und lächelte.
Dann hob sich sein Brustkorb noch einmal, und aus dem Rinnsal wurde ein reißender Strom.
Hellrotes Blut ergoss sich aus Graemes Mund und gleich darauf auch aus seiner Nase. Es floss über seinen Anzug, durchnässte Schultern und Brust und landete schließlich auch auf dem Tisch, wo es die verstreuten Papiere tränkte. Die scharlachroten Fontänen sammelten sich auf dem Boden zu Pfützen.
Graemes Augen wurden dumpf und glasig und verdrehten sich. Ein paar Sekunden lang stand er noch aufrecht, dann schien sein Körper zu schrumpeln. Seine Schultern sanken nach vorn, und er fiel quer über den Tisch in sich zusammen. Sein Kopf hing über den Tischrand und verströmte immer noch wie ein Geysir Blut, das jetzt den Boden des Gerichtssaals als immer weiter anschwellender See bedeckte. Es schien keine Möglichkeit zu geben, den Strom abzustellen, und selbst Dan Erickson und Archibald Gale schrien auf und wichen zurück, als die rote Flut sich über ihre Schuhe ergoss.
Währenddessen lag Graeme mit dem Gesicht nach unten da, und sein Herz rang sich die letzten Schläge ab.
Stride rannte los, doch er rutschte in der Blutlache aus. Als er das Gleichgewicht wieder gefunden hatte, rannte er weiter. Maggie war vor ihm dort. Sie kämpfte sich zwischen den letzten paar Leuten durch, die ihr den Weg versperrten, weil sie von dem entsetzlichen Anblick wie erstarrt waren. Dann sprang sie über diejenigen hinweg, die sich schreiend auf den Boden geworfen hatten, in dem vergeblichen Versuch, sich selbst zu schützen.
Emily Stoner stand in der ersten Reihe. Sie war genauso erstarrt wie alle anderen und blickte unverwandt auf den bluttriefenden Körper ihres Mannes, der direkt vor ihr lag.
Sie hielt den rechten Arm hochgereckt. Maggies kleine Hände umklammerten ihren ausgestreckten Arm mit eisernem Griff und hielten ihn fest, aber Emily schien es kaum zu merken. Sie rührte sich nicht. Sie ließ auch nicht los.
Dann war Stride bei ihnen. Er beugte sich über Graeme Stoners zusammengesunkene Leiche und wand Emily das blutverschmierte Schlachtermesser aus der Hand.
Chaos brach aus.
15
Die Kastenfenster der Bibliothek im obersten Stock des Kitch waren geschlossen. Draußen tobte ein morgendliches Gewitter. Gale lehnte am Fenster und trank Kaffee aus einer zierlichen Porzellantasse. Er schaute zu Dan Erickson hinüber, der auf dem Sofa saß und einen Teller mit Spiegeleiern und Würstchen und ein großes Glas Orangensaft vor sich hatte.
»Sie wissen ganz genau, dass sie ihn freigesprochen hätten«, sagte Gale. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, und seine Augen glitzerten.
Dans Besteck klapperte, während er seine Eier zerschnitt. Eigelb verteilte sich auf dem Teller. »Seien Sie da mal nicht so sicher. Sie haben doch gehört, wie Bird die Geschworenen interviewt hat. Keiner von denen hat ernsthaft geglaubt, dass Sally in die Sache verwickelt ist. Sie waren alle überzeugt, dass es Graeme war.«
»Wenn ich mich recht entsinne, sagten sie alle ›wahrscheinlich‹. Im Gerichtssaal hätte das als berechtigter Zweifel gelten müssen. Und außerdem hatten sie ja Gelegenheit, Sie vergangene Woche bei Ihrer Pressekonferenz zu erleben. Der erzürnte Staatsanwalt wehrt die unbegründeten Vorwürfe ab, die gegen ein unschuldiges junges Mädchen erhoben wurden. Keine Beweise, bis auf die, die Mr Stoner belasten.« Ein aufzuckender Blitz erhellte Gales Gesicht. »Davon, dass Sie das vor Gericht nicht beweisen konnten, redet niemand mehr.«
»Das sagen Sie«, erwiderte Dan in liebenswürdigem Ton.
Gale schüttelte den Kopf. »Ich kann
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