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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
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und unzusammenhängenden Tatsachen konfrontieren und diese so zusammensetzen, dass Sie glauben sollen, was sich nicht beweisen lässt. So etwas ist keine Beweisführung, weder mit Indizien- noch sonstigen Beweisen. Das sind nur Märchen. Spekulationen.«
    Stride merkte, wie ihm mulmig wurde. Schlag auf Schlag deckte Gale alle Schwachstellen ihrer Beweisführung auf.
    Und er hatte ja auch Recht. All diese Dinge konnten sie nicht beweisen.
    Sie konnten nur einzelne Puzzlestücke bereitlegen und darauf hoffen, dass die Geschworenen klug genug waren, sie richtig zusammenzusetzen.
    »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Gale fort. »Sie werden auch feststellen, dass die Anklage in ihrem Eifer, dem Krimi ein ordentliches Ende zu verpassen, eine ganze Reihe anderer möglicher Lösungen übersehen hat. Ich fürchte, Mr Erickson gehört zu den Menschen, die, nachdem sie einen Motor neu zusammengesetzt haben, noch eine ganze Menge Einzelteile übrig behalten und daraufhin beschließen, dass die nicht besonders wichtig gewesen sein können.«
    Er zwinkerte den Geschworenen zu und lächelte zu Dan hinüber. »Schauen wir uns doch einmal ein paar dieser überzähligen Teile an«, sagte er. »Ein gutes Jahr vor Rachel ist schon einmal ein junges Mädchen verschwunden, Kerry McGrath, die nur ein paar Kilometer von Rachels Elternhaus entfernt wohnte und mit ihr auf dieselbe Schule ging. Auch sie wurde niemals gefunden, und die Umstände ihres Verschwindens ähneln denen im Fall Rachel frappierend. Bei der Polizei weiß man, dass Graeme Stoner mit Kerry McGraths Verschwinden nichts zu tun hat. Dennoch ignoriert man dort die grauenvolle Möglichkeit, dass ein Serienmörder die jungen Mädchen dieser Stadt bedrohen könnte.
    Ein weiteres überzähliges Teil. Rachel hat sich an dem Abend, als sie verschwunden ist, sehr eigenartig verhalten. Warum? Wusste sie etwas? War sie vielleicht mit jemandem verabredet? Hatte sie vor wegzulaufen?
    Und noch ein überzähliges Teil. Was war der Grund dafür, dass Rachel so unglücklich war? Die Beziehung zu ihrem Stiefvater? Nein. Es war das furchtbare, verbitterte und gewalttätige Verhältnis zu ihrer Mutter. Merken Sie sich dieses Wort: gewalttätig.«
    Stride schaute zu Emily hinüber und sah, wie ihr eine Träne über die Wange rann. Sie hielt den Blick gesenkt und weinte still vor sich hin.
    Gale fuhr fort: »Lauter Fragen und Zweifel. Am Ende dieser Verhandlung werden Sie mehr als genug davon haben. Aber Sie werden keine Fragen und keine Zweifel mehr haben, wie Sie selbst handeln sollen. Sie werden meinen Mandanten des Verbrechens, dessen er fälschlicherweise angeklagt ist, für nicht schuldig befinden.«
    Gale hielt den Blicken der Geschworenen ein paar endlose Sekunden lang stand. Dann kehrte er auf seinen Platz zurück und setzte sich.
    Stride musterte die Mienen der Geschworenen. Er hatte das Gefühl, dass sie nach diesem ersten Ballwechsel mit einem Unentschieden in die entscheidende Spielphase gingen.
    Jetzt mussten sie zum Schlag ausholen.

5
    Stride nahm seinen Platz im Zeugenstand ein. Das hatte er schon unzählige Male getan, so oft, dass der Stuhl sich fast vertraut anfühlte, als hätte er dort eine Kuhle hinterlassen, die sich jetzt wieder seinem Körper anpasste. Er suchte die Blicke der Geschworenen.
    In Duluth hatten die Geschworenen noch Vertrauen zur Polizei, das sah man ihnen an. Hier war es ganz anders als bei Gerichtsverhandlungen in der Großstadt, wo Polizisten oft genug als Feinde betrachtet wurden. Stride spürte, wie die Geschworenen ihn musterten – sein markantes Gesicht, die grauen Strähnen im dunklen Haar und seine kräftige Statur – und beschlossen, dass sie ihm vertrauen konnten.
    Dan stellte ihm ein paar einleitende Fragen und gab ihm damit Gelegenheit, von seiner Karriere bei der Polizei und seiner jahrelangen Erfahrung zu berichten und sich als Fachmann für Verbrechen und Tatorte zu präsentieren. Erst, nachdem die Geschworenen ihn auf diese Weise ein wenig kennen gelernt hatten, brachte Dan das Gespräch auf Rachel. Stride berichtete, wie er vom Verschwinden des Mädchens erfahren hatte, und führte die Geschworenen dann Schritt für Schritt anhand der Beweise durch eine Rekonstruktion ihres letzten Abends.
    Er beschrieb das Überwachungsvideo der Bank, das Rachels Wagen kurz nach zehn Uhr im Vorbeifahren festgehalten hatte. Dan zeigte den Geschworenen das Videoband. Dann präsentierte er ihnen ein körniges, stark vergrößertes Standfoto, das das

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