Unmoralisch
Holiday-Inn-Hotel in der Innenstadt verbringen, und Stride konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass sie sowohl den Beginn als auch das Ende des Prozesses sehnsüchtig erwarteten.
Die Richterin gab den Geschworenen ein wenig Zeit, sich auf ihren Plätzen einzurichten, und eröffnete die Verhandlung mit den üblichen einleitenden Worten.
Dann forderte sie Dan Erickson auf, sein Eingangsplädoyer zu halten.
Dan ließ sich Zeit. Er nahm Blickkontakt mit jedem einzelnen Geschworenen auf.
Dann hielt er ein vergrößertes Foto von Rachel in die Höhe, das in der Schule aufgenommen worden war. Es zeigte sie mit langem, glänzendem schwarzem Haar und einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen. Dan betrachtete das Foto, hielt es dann locker in der Hand und drehte sich zu den Geschworenen um. Er gab ihnen Zeit, sich das Bild ganz genau einzuprägen.
»Das ist Rachel Deese«, sagte er. »Sie ist wunderschön. Ein hübsches, siebzehnjähriges Mädchen, das das ganze Leben noch vor sich hat. Doch einen Monat, nachdem dieses Foto gemacht wurde, ist Rachel spurlos verschwunden. Die Beweise, die in den folgenden Wochen gefunden wurden, haben uns zu einem traurigen Schluss geführt. Dieses wunderschöne Mädchen wurde ermordet.«
Dan blickte zu Boden und schüttelte betrübt den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte es Ihnen leichter machen. Ich wünschte, es wäre an jenem Freitagabend im Oktober noch jemand dort gewesen. Jemand anders als Rachel und der Mann, der sie getötet hat, jemand, der in den Zeugenstand treten und Ihnen erzählen könnte, wie das alles passiert ist. Aber wie Sie sicher wissen, finden die wenigsten Morde in der Öffentlichkeit statt. Mord ist eine furchtbare und sehr private Angelegenheit.«
Er drehte sich um und sah Graeme Stoner an, sodass die Geschworenen seinem Blick folgen mussten. Dann fuhr er fort. »Aber wenn ein Mörder sein Geheimnis so gut bewahrt, wie sollen wir ihn dann verurteilen? Oft, wie auch in diesem Fall, berufen wir uns auf so genannte Indizienbeweise. Es handelt sich dabei um Tatsachen, die Sie in ihrer Gesamtheit zu einem unausweichlichen Schluss über die Handlungsweisen des Angeklagten und seine Schuld führen werden. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Ein Mann wird erstochen aufgefunden, in seinem eigenen Haus. Niemand hat die Tat beobachtet. Niemand hat gesehen, wer ihn getötet hat. Es gibt also keine direkten Beweise. Dennoch finden wir auf der Mordwaffe die Fingerabdrücke eines anderen Mannes. Wir finden heraus, dass dieser Mann einen Groll gegen das Opfer hegte. Dann stellen wir fest, dass er kein Alibi für die Mordnacht hat. An seinen Schuhen finden wir das Blut des Opfers. All das sind Indizienbeweise, die uns die Wahrheit über das Verbrechen offenbaren.«
Dan machte eine Pause und musterte die Gesichter der Geschworenen, um sich davon zu überzeugen, dass sie ihn auch verstanden. »Im Verlauf dieser Verhandlung werden Sie zwingende Indizienbeweise für den Mord an Rachel Deese zu sehen bekommen. Sie werden keinerlei Zweifel mehr daran haben, dass der Mann dort auf der Anklagebank, Graeme Stoner, dieses schöne Mädchen getötet hat und die Leiche verschwinden ließ. Aber wer ist dieser Mann?« Dan richtete seinen knochigen Zeigefinger auf Stoner. »Im Prozessverlauf werden wir die Maske lüften, die er in der Öffentlichkeit getragen hat. Wir werden Ihnen einen ganz anderen Menschen offenbaren. Einen Mann, der ein Nacktfoto seiner Stieftochter auf seinem Computer gespeichert hat. Einen Mann, der sich Fantasien über sexuelle Kontakte mit jungen Mädchen hingibt. Einen Mann, der seine Beziehung zu Rachel als dunkles Geheimnis gehütet hat. Denn seine Beziehung zu ihr war sexueller Natur.«
Er schwieg wieder und gab den Geschworenen Zeit, über die Implikationen dieser Schlussfolgerung nachzudenken, Graeme Stoner zu mustern und sich zu fragen, was sich wohl hinter dieser unbeteiligten Miene verbarg. Es spielte keine Rolle, dass Graeme einen Geschäftsanzug trug, wie er ihn wahrscheinlich jeden Tag in der Bank getragen hatte. Dan wollte, dass die Geschworenen seine Kleidung als Fassade betrachteten, hinter der sich ein verdorbenes Gemüt verbarg.
»Und Rachel?«, fuhr Dan schließlich fort. »Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Ich weiß nicht, wo Rachels Leiche ist. Nur einer weiß das. Er sitzt dort drüben auf der Anklagebank. Sie werden sich fragen, woher wir wissen, dass überhaupt ein Mord begangen wurde, wenn wir Ihnen keine Leiche präsentieren können. Und die
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