Unnatural History
Schreibzimmer, das mit schweren samtenen Vorhängen abgedunkelt worden war. Es unterschied sich mit seinen eingetopften Schattenblumen und Schusterpalmen auf einer gefliesten Fläche und den Porträts über dem Kamin, auf denen die Familienmitglieder des Professors dargestellt waren, nicht von anderen gewöhnlichen Schreibzimmern. Jedes einzelne dieser Bilder schien ältere Generationen im Stammbaum der Galapagos-Familie darzustellen. Die Luft im Raum stand wie in einem Kämmerchen, das niemals jemand benutzte, ausgenommen zu seltenen feierlichen Angelegenheiten.
Als Nächstes kam er an einem Speisezimmer vorbei, das in seiner Gestaltung dem Schreibraum ähnelte und offenbar ebenso selten genutzt wurde. Alles dort hatte seine penible Ordnung, wenn auch in einer etwas unpersönlichen Art, ohne jegliche Leidenschaft. Einzig durch die unheimlichen ausgestopften Vögel und allerlei steifes Getier, Meisterstücke der Präparation, spiegelte der Raum zumindest etwas von dem Charakter seines Besitzers wider. Von einigen Bücherregalen blickten Habichte auf Ulysses hinab – die Bücher waren der Reihe nach allesamt Klassiker, die nicht so aussahen, als seien sie jemals gelesen worden –, Füchse schienen ihn unter kleinen, sinnlos umherstehenden Tischchen hervor förmlich anzuknurren und eine Eule direkt auf der Standuhr, die ihre Flügel bedrohlich spreizte, sah aus, als würde sie jeden Moment ihren Sturzflug starten.
Wann war wohl zuletzt überhaupt jemand hier gewesen? Das Haus wirkte so, als wäre es bereits seit einiger Zeit und vielleicht sogar schon vor dem Verschwinden des Professors unbewohnt gewesen. Wann genau hatte Geneviève ihren Vater zuletzt besucht?
In der Küche fand Ulysses ein Durcheinander aus schmutzigen Tellern und vergammelten Essensresten vor. Überall waren Fliegen. Sie surrten in einer schwarzen Masse innen an den schmuddeligen Fensterscheiben, von denen aus man in einen Hinterhof hinab spähen konnte. Obwohl in diesem Raum mit Abstand am meisten Leben anzutreffen war, hatte sich hier schon seit einer Weile niemand mehr sehen lassen.
In der Halle am Fuße der Treppe traf Ulysses wieder auf seinen Butler. »Irgendetwas?«, fragte Ulysses knapp.
»Abgesehen von einer Dachkammer, die wohl, wie es scheint, zu präparationstechnischen Zwecken zur Verfügung stand, nichts, das von Bedeutung wäre, Sir. Ansonsten fand ich nur Schlafräume. Meist in altmodischem Dekor gehalten und sicherlich seit langer Zeit nicht mehr benutzt. Auch der Hauptschlafraum wirkte nicht so, als sei er kürzlich genutzt worden.«
»Wie ich bereits erwartet hatte«, meinte Ulysses.
»Wohin gehen wir nun, Sir?«
Ulysses nickte in Richtung einer Tür, die offensichtlich in das Kellergeschoss führte. »Was uns noch als einzige Möglichkeit bleibt – nach unten.«
Ulysses schritt vorsichtig voran. Keiner von beiden hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, was sie in den stygischen Tiefen dahinter finden würden.
Was sie dann sahen, hatte dem Professor augenscheinlich als Arbeitsraum gedient. Forsch legte Ulysses einen Schalter um und elektrische Lämpchen überall entlang der Wände erwachten flackernd zum Leben. Gelbliche Lichtpfützen ließen den Raum fleckig erscheinen. Winzige Quellen natürlichen Lichts sickerten durch die von Schmutz undurchsichtig gewordenen Fensterscheiben, die beinahe unmittelbar unterhalb der Decke des länglichen Raumes lagen und fügten dem künstlichen Licht ihren eigenen faden, gräulichen Schein hinzu. Ulysses sog scharf Luft ein. »Hierbei könnte es sich um das fehlende Teilchen unseres Puzzles handeln.«
Der Kellerraum nahm die gesamte Länge des Hauses ein. Er war in klar definierte Sektionen unterteilt worden und die erste davon war wohl der vornehmliche Arbeitsbereich des Professors gewesen, denn dieser Teil war im Stil eines Gentlemans einem Arbeitsraume angepasst. Es befanden sich ein Schreibtisch, vollgestopfte Bücherregale und ein kleiner Brennofen darin, der direkt in die Wand eingebaut war. Lithographien mit Studien über allerlei Tierarten in einem Rahmen aus Walnussholz hingen nebst einer beglaubigten Karte der Galapagos Inseln aus dem neunzehnten Jahrhundert an den Wänden, ebenso ein Aquarell von Darwins Forschungsseefahrzeug, der Beagle .
Ein Pärchen ausgestopfter Finken, dargestellt in jenem Moment, in dem sie sich von einem Ast in die Lüfte erheben wollten, saß auf einem schmalen Kaminsims über dem gusseisernen Herzen des Ofens. Seltsamerweise lag weder auf dem
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