Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Seiten von Berkeleys Philosophie werden durch folgende zwei Limericks (Limerick = ein beliebter englischer Scherzreim) treffend illustriert:
Sprach einstens ein Mann: »Gott der Herr
verwundert gewiss sich gar sehr,
wie der Baum, unbeirrt,
immer fortexistiert,
wenn der Hof auch verlassen und leer.« Ronald Knox .
Verehrter, Sie irren sich sehr:,
Ich bin stets doch im Hofe; daher
dieser Baum, unbeirrt
immer fortexistiert,
denn es sieht ihn stets Ihr Gott der Herr.
DIE HÖHERE TUGEND DER UNTERDRÜCKTEN
N ach einer hartnäckigen Wahnidee, in der die Menschheit befangen ist, sind gewisse Menschengruppen sittlich besser oder schlechter als andere. Diese Überzeugung tritt in vielen verschiedenen Formen auf, deren keine sich verstandesmäßig begründen lässt. Es ist nur natürlich, zunächst von uns selbst eine gute Meinung zu haben, und weiter, wenn unser Denken in primitiven Bahnen verläuft, von unserem Geschlecht, unserer Klasse, unserem Volk und unserer Zeit. Hingegen pflegen die Männer der Feder, besonders die Moralisten, ihre Selbstachtung weniger unverhüllt auszudrücken. Sie neigen zu einer schlechten Meinung über ihre Mitmenschen und Bekannten und daher zu einer guten von jenen Teilen der Menschheit, denen sie nicht selbst angehören. Lao-Tse bewunderte »die reinen Menschen von ehedem«, die vor dem Beginn der konfuzianischen Sophisterei lebten. Tacitus und Madame de Stadl bewunderten die Deutschen, weil sie keinen Kaiser hatten. Locke hielt viel vom »intelligenten Amerikaner«, weil ihn kartesische Spitzfindigkeiten nicht irremachten.
Eine recht seltsame Spielart dieser Bewunderung für Menschengruppen, denen die Bewunderer nicht selbst angehören, ist der Glaube an die höhere Tugend der Unterdrückten: der unterworfenen Völker, der Armen, Frauen und Kinder. Das achtzehnte Jahrhundert eroberte Amerika von den Indianern, machte die Bauern zu armen Schwerarbeitern und führte die Gräuel des frühen Industrialismus ein, schwelgte aber gleichzeitig in der Verherrlichung des »edlen Wilden« und der »einfachen Chronik der Armen«. Tugend, so hieß es, war an den Höfen nicht zu finden; aber Hofdamen konnten sie, indem sie sich als Schäferinnen herausputzten, beinahe erringen. Und was das männliche Geschlecht betraf:
»Selig, wer sich mit der kargen
Väterscholle kann bescheiden!«
Dennoch zog Pope für seinen Teil London und seine Villa in Twikkenham vor.
In der französischen Revolution wurde die höhere Tugend der Armen zu einer Frage der Parteizugehörigkeit, und sie ist es seitdem geblieben. Für die Reaktionäre wurden die Armen zum »Pöbel« oder »Mob«. Die Reichen entdeckten zu ihrer Überraschung, dass es Leute gab, die so arm waren, dass sie nicht einmal eine »karge Väterscholle« ihr eigen nennen konnten. Die Liberalen hingegen idealisierten nach wie vor den armen Landmann, während sozialistische und kommunistische Intellektuelle es mit dem städtischen Proletariat ebenso machten – eine Mode, die erst im zwanzigsten Jahrhundert Bedeutung gewann und auf die ich daher später zurückkommen werde.
Im neunzehnten Jahrhundert ersetzte der Nationalismus den edlen Wilden durch den Patrioten eines unterdrückten Volkes. Die Griechen galten bis zu ihrer Befreiung von den Türken, die Ungarn bis zum Ausgleich von 1867, die Italiener bis 1870 und die Polen bis nach dem ersten Weltkrieg in romantischer Weise als begabte und poetische Völker, die zu idealistisch gesinnt waren, als dass sie es in dieser bösen Welt zu etwas bringen konnten. Den Iren schrieben die Engländer einen besonderen Zauber und mystische Einsicht zu, und zwar bis 1921, als man entdeckte, dass die Kosten ihrer weiteren Unterdrückung unerschwinglich wurden. Diese Völker errangen eins nach dem anderen ihre Unabhängigkeit, und es stellte sich heraus, dass sie nicht anders waren als alle anderen auch; allein die Erfahrung, die man mit den schon Befreiten gemacht hatte, zerstörte keineswegs die Illusionen über die, welche noch im Kampf um ihre Unabhängigkeit standen. Alte Damen in England schwärmen immer wieder von der »Weisheit des Ostens« und amerikanische Intellektuelle vom »Erdbewusstsein« des Negers.
Die Frauen, die ja Gegenstand der stärksten Gefühle sind, sah man noch irrationaler als die Armen oder die unterdrückten Völker. Ich denke dabei nicht an die Äußerungen der Dichter, sondern an die nüchterne Meinung von Leuten, die sich für Rationalisten halten. Die Kirche nahm hier zwei
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